Übrigens …

Don Carlo im Duesseldorf Oper

Das trügerische Gold der Macht

Ein klaustrophobisches Bühnenbild: Inmitten von eng geschachtelten, goldglühenden oder auch bronzenen Holzwänden spielen sich die Tragödien ab. Zwar mit historischem Kern, aber durchaus zeitlos. Das haben früh schon der Dramatiker Friedrich Schiller (literarische Vorlage), der Komponist Giuseppe Verdi und der aktuelle flämische Regisseur Guy Joosten an der Deutschen Oper am Rhein als Grundlage für ihre Sichten auf Don Carlos erkannt. Die Düsseldorfer Premiere war für das Haus ein großer Publikumserfolg, zumal für die musikalische Seite.

Die Architektur der Bühne (Alfons Flores) bremste jedoch die szenischen Möglichkeiten stark ein. So wunderbar magisch oft die flammende Farbigkeit eingesetzt wurde – dieser goldene Käfig für Elisabetta beengte ständig den Raum, verkürzt die menschliche Perspektive, die ein zentrales Bett als Verweis auf die tragische Liebe der schmerzlich verketteten Paare zitiert. Nur in den Momenten, in denen der Regisseur die verlogen-verwerfliche Macht in seinem politisch bestimmten Durchlauf (er benutzte die vieraktige Fassung) anprangert, stimmte das Verhältnis von Bühne, Bild und Blutschuld. Denn überall wird abgehört, wird verfolgt, wird belauscht, wird politisches Kalkül zum heuchlerischen Vorwand. Auch das Autodafé mit seinen brennenden Menschenfackeln leidet unter dieser Verkürzung und Enge. Wenn die flandrischen Abgesandten sich unter dem sich auf sie herabsenkenden Turm „verkriechen“, kommt sogar ein komisch-banaler Seitenhieb auf.

Doch Verdis Don Carlos ist die Oper der eigentlich scheuen Privatheit, die ständig gestört, manipuliert und zerrissen wird: Infant und Freund Posa, Vater und Sohn, Carlos und seine Stiefmutter, Eboli und Carlos, schließlich der vereinsamte und von der Realität überrannte Monarch Philipp II. – alle kämpfen um Glück, um Werte, um Liebe. Und alle sind Verlierer in diesem schmutzigen Krieg um Menschlichkeit und Verständnis. Das sind die großen Momente, die Verdi mit seiner grandiosen Musik füllt und so emotional auch heute noch vermittelt. Aber gerade für diese grandiose Verzweiflungsstory findet Joosten verhältnismäßig wenig Genauigkeit, wenig Zugriff, wenig Dramatik.

Mit Andriy Yurkevych (GMD in Warschau) steht ein ukrainischer Dirigent am Pult der Düsseldorfer Symphoniker, also jemand, der die Problematik dieser Oper aus heutiger Realität mehr oder minder persönlich kennt. Vielleicht deshalb geraten ihm die intimen Szenen besser als die Deutung der Machtperversion. Diese Menschen leiden an der Situation, an der Verdrehung von Toleranz und politischer Kriminalität. Das Herz liegt Yurkevych näher als der Kopf. Die Symphoniker demonstrieren insgesamt eine große Geschlossenheit im Partitur-Verständnis.

Die Oper lebt noch mehr als Schillers Schauspiel von dem Zusammenprall der Gefühle. Und da dürfen sich alle Interpreten voll ins Zeug legen – und ihre zerknitterten Sehnsüchte nach außen tragen. Das gilt für Gianluca Terranovas gebeutelten Carlos-Charakter: ein Infant ohne Hoffnung, ein Liebender ohne Glück, ein politischer Hitzkopf ohne Fortune. Der italienische Tenor singt die Partie mit höchster Intensität und schöner Legato-Kultur. Auch für Laimonas Pautienius als Posa: ein kluger Stratege, aber auch ein Hitzkopf, als Freund zwiespältig und gefangen in seinen nationalen Polit-Zielen. Er singt allerdings grandios, einsatzbereit und leidenschaftlich. Etwas verhaltener in ihrer Verzweiflung: die Elisabetta von Olesya Golovneva, ein Sopran „mit Trauerrand“. Denn sie ist die größte Verliererin – ungeliebt vom Ehemann, vergeblich geliebt vom unfähig agierenden Infanten, der ihr keine Brücke schlägt. Eine nahezu perfekte Studie liefert Ramona Zaharia als Eboli: eine erotisch belebte Rachefurie, ein eigentlich höfisches Musterexemplar an diesem verrottetem Haus, die aber immerhin noch wagt, ihre eigene Stimme zu erheben. Adrian Sâmpetrean als Filippo II.: markig, aufbrausend, zynisch – aber im Kern längst gedemütigt und als König gescheitert. Insgesamt aber bleibt er eher matt im gesamten Habitus. Sami Luttinen als Großinquisitor macht das Beste aus seiner Partie. Auftrumpfen kann er nicht.

Der Chor und viele kleine Partien prägen Klima und Situationen in dieser großen, schaurigen Tragödie, aus der die europäische Geschichte nicht viel gelernt hat. Sie wiederholt sich irgendwo irgendwie immer.

Was bleibt: die blitzenden, bitteren, von Enttäuschung geprägten Dialoge zwischen Posa und Infant sowie zwischen Posa und Philipp. Da dringt Joosten (endlich einmal) bis zur Wahrheitssubstanz menschlicher Konflikte vor.