Übrigens …

Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna im Köln, Oper

Mit Kraft, ohne Zentrum

Die Kölner Oper hat wirklich, wie man umgangssprachlich so sagt, die Seuche am Fuß. Als wäre es nicht genug, dass sich auf der Opernbaustelle Misswirtschaft, Ungeschicke und Unglücke derart angehäuft haben, dass mittlerweile eine Verlängerung des Interims um mindestens drei Jahre im Raum steht, zog sich auch noch auf der Generalprobe der mit Spannung erwarteten Braunfels-Premiere die Hauptdarstellerin Natalie Karl, die dem Vernehmen nach eine fantastische Johanna ist, einen schweren Knochenbruch zu, der sie zwang, die komplette Aufführungsserie abzusagen. Und das bei einem Stück, das, abgesehen von wenigen konzertanten Aufführungen, erst ein einziges Mal szenisch ausprobiert worden ist! Es gelang immerhin, die Vorstellung zu retten. Juliane Banse, die Sängerin der konzertanten Uraufführung, sprang ein, die Regisseurin Tatjana Gürbaca agierte auf der Bühne.

Allerdings hat dieser unfreiwillige Verfremdungseffekt zur Folge, dass schwer zu beurteilen ist, inwieweit die Kölner Aufführung dem allein durch die Programmierung formulierten Anspruch, das ungewöhnliche Werk dem Repertoire zu gewinnen, gerecht wird. Musikalisch stellt sich die Frage nicht. Was Solisten, Chor und Orchester hier unter der kundigen, leidenschaftlichen und gelassenen (An)Leitung von Lothar Zagrosek leisten, ist trotz der problematisch trockenen Akustik des Staatenhauses auf dem Messegelände nur als großartig zu bezeichnen. Und die Aufgabe ist nicht einfach. Hat doch Braunfels seine Oper aus einzelnen Bildern montiert, die er musikalisch kaum aufeinander bezieht, denen er aber immer wieder Anspielungs- und Assoziationsräume öffnet. Im Gegensatz zu anderen Arbeiten des Komponisten erscheint hier das Idiom der Neuen Sachlichkeit genauso zurückgedrängt wie die Lust am Klangexperimentiert. Es regiert die Spätromantik – vom ersten Aufrauschen des Blechs bis zum Harfen – „Pling“ am Ende. Seltsam homogen kommt das alles daher, fast ohne Widerhaken. Eine pathetische Heiligenlegende aus der von den Nazis erzwungenen inneren Emigration?

Vielleicht doch nicht ganz. Immer wieder vermeint man ein Ringen um Haltung, um Widerspruch zu vernehmen, als eine Art verzweifelte Unterströmung, die aber oft untergeht in der ungemein breiten Anlage des sehr zäh fließenden Handlungsstroms. Tatjana Gürbaca nimmt die Herausforderung an und stellt sich den großen, bedenklich statischen Tableaus. Stefan Heyne hat ihr dafür eine bunte Kriegsschutthalde ins Staatenhaus gebaut, eine buchstäbliche Schneise der Verwüstung, in der vom Autowrack bis zur herumkugelnden Urne so ziemlich alles zu finden ist. Hier versuchen die Figuren, ihre Existenz zu fristen - und sobald man sie dabei beobachten kann, wird es spannend. Wie verhält man sich richtig in solchen Zeiten? Greift man nach jedem Strohhalm wie der von Matthias Klink mit satter, treffsicherer Ironie als Steppdecken-Popanz gezeichnete König. Muss man zum Zyniker werden wie der raubeinige Tremouille des auch überraschen höhensicheren Bassisten Bjarin Thor Kristinsson. Oder hängt man alle seine Hoffnungen auf eine einzige Karte, wie der düster lodernde Gilles de Rais von Oliver Zwarg?

Wenn Gürbaca versucht, die Story detailliert aufzubereiten, verliert sie sich in realistischen Details und merkwürdig beliebigen Kostümen, verheddert sie sich in Klischees, die tatsächlich in diesem Werk wohl schwer zu umgehen sind. Mal ironisiert sie leicht, mal stark, mal nicht – um das als Zuschauer zusammenfühlen und –denken zu können, hätte es wohl doch einer singenden und spielenden Hauptdarstellerin bedurft.