Mondsüchtig
Jede Menge zündender Melodien und noch mehr Lokalkolorit. Das sind die Zutaten für die „Berliner Operette“. Wer hat’s erfunden? Paul Lincke - preußische Tugenden versus Wiener Schmäh. Doch wirklich überlebt hat nur Frau Luna. Und das sicher deshalb, weil Vielen so ein paar Melodien irgendwo im Kopf herumspuken. „ Schlösser, die im Monde liegen“, „Schenk mir doch ein kleines bisschen Liebe“ und natürlich „Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft“. Mit diesen Schlagern gibt es ein Revival im Theater Münster. Wer mag, kann mitsingen und mitklatschen.
Regisseur Holger Seitz und sein Team setzen voll auf Operettenseligkeit. Da wird der Traum vom Fliegen, der unbedingte Fortschrittsglaube des Mechanikers Fritz Steppke unkommentiert auf die Bühne gestellt. Es ist eben alles so, wie man es sich vorstellt. Das Personal berlinert, was das Zeug hält (da hätte man phonetisch allerdings intensiver arbeiten können); in einer kleinen Welt hat jeder im Grunde das Herz auf dem rechten Fleck und am Ende steht die Erkenntnis, dass das Leben auf dem Mond gar nicht so anders ist als daheim. Zurück nach Berlin also! Herbert Buckmiller baut eine Bühne, die es – mit Verlaub – schwer macht, sich in die Geschichte zu versenken. Ein Zimmer über den Dächern von Berlin und rauchende Schornsteine – das alles scheint eher mit einem Windhauch umzupusten zu sein und wirkt so gar nicht real. Auch die Mondoberfläche mit eher kunststoffhaft als magisch daher kommenden Steinhaufen ist nicht unbedingt fantasiefördernd.
Da helfen auch oft kalauernde Aktualisierungen und eingebrachte Münsterlandanspielungen wenig, wirken eher albern. Was dagegen wirklich hilft, sind Götz Lanzelot Fischers überaus vielfältige, fantasiereiche Kostüme. Aus einer Produktion des Theaters Hof der Spielzeit 2013/2014 übernommen, gelingt es ihnen, das Biedere und – geben wir es zu – das etwas Muffige, das über der Produktion schwebt, aufzubrechen. Steckt er das „Erdenpersonal“ in Kostüme der Entstehungszeit, lebt er sich bei den Mondbewohnern so richtig aus. Frau Luna ist in Türkis gewandet - wie auch ihr Gefolge ein Hingucker. Das sind auch die rotgewandete Venus mit blinkendem Herzen und der Mars in rührend plumpem Panzer. Fischer hat den Auftrag eine „Ausstattungsoperette“ zu schaffen sehr ernst genommen und betont dadurch den Revuecharakter, den Frau Luna hat. Demgegenüber bleiben die Choreographien Annette Taubmanns eher beiherspielend dekorativ.
Inna Batyuks Chor ist immer auf der Höhe des Geschehens. Peter-Uwe Witt, Katarzyna Grabosz, Ute Hopp und vor allem die hinreißend agierende Christina Holzinger sind ein wunderbares Comprimarii-Team.
Lisa Wedekind (Stella) und dem Theophil Eberhard Francesco Lorenz’ gelingt es nicht recht, ihr komödiantisches Potenzial auszureizen, während Birger Radde einen stimmlich erfrischenden Lämmermeier gibt. Auch Boris Leisenheimer als Steppke passt bestens ins Ensemble. Das gilt auch für Young-Seong Shim (Prinz Sternschnuppe), der darstellerisch sicher noch mehr kann. Aber seine unbegleitet gesungene Lehár-Einlage „Dein ist mein ganzes Herz“ ist ganz toll. Barbara Wurster ist eine Frau Pusebach, wie sie es sein soll – burschikos und resolut.
Henrike Jacob ist eine einfach in jeder Hinsicht entzückende Frau Luna – kokett, klar singend, mit hohem Flirtpotenzial, und steht damit in echter Konkurrenz zu Eva Bauchmüllers Marie. Die ist bescheiden, einfach gestrickt und singt über die „Mondschlösser“ mit berückender Naivität.
Regisseur Holger Seitz gelingt es nicht, Frau Luna von Patina zu befreien. Das schafft aber grandios Stefan Veselka mit dem Sinfonieorchester Münster. Schlank, vorwärtsdrängend und mitreißend tönen Linckes Schlager aus dem Orchestergraben. Diese Musik ist jung und frisch!