Übrigens …

Written on Skin im Konzerthaus Dortmund

Im Strudel der Musik

Oper konzertant – das ist für den Puristen ein Graus. Impliziert doch die musikdramatische Gattung namens Oper stets ein Miteinander von Musik und Spiel, von Kostüm und Bühnengestaltung. Bleibt davon der größte Teil auf der Strecke, herrscht allein Orchester- und Stimmenklang, zeigt sich das Stück im Ergebnis gewissermaßen nackt.

Oper konzertant – das ist wiederum für viele Bühnen längst Alltagsgeschäft. Selbst die altehrwürdigen, hochmögenden Salzburger Festspiele haben diese Form musikalischer Darbietung seit den 60er Jahren im Programm. Und an den kleinen Stadttheatern sind es nicht zuletzt Sparzwänge, die den Verzicht auf Regie und Ausstattung bedingen.

Aus dieser Not eine Tugend machen heißt, das jeweilige Werk in bestmöglicher Qualität zu interpretieren. Dann bietet konzertante Oper immerhin die Chance, Raritäten des Repertoires in den Fokus zu rücken, dem Publikum manches Aha-Erlebnis zu bescheren. Ganz gleich, ob es sich nun um Perlen des Belcanto, um spannende, hochexpressive Stücke des beginnenden 20. Jahrhunderts, oder gar um aufregende, sinnliche neue Musik handelt.

Seit jeher hat sich das Konzerthaus Dortmund auf diese Spur begeben. Besonders die „Zeitinseln“ bieten in ihrer Fokussierung auf das Werk eines Komponisten Musikdramatisches in der erwähnten verknappten Form. Diesmal galt die Bestandsaufnahme dem Briten George Benjamin. Der Maestro selbst plauderte aus dem Nähkästchen eines Tonsetzers, erläuterte Zusammenhänge zwischen den Stücken des dreitägigen Programms und empfahl sich als wunderbarer Dirigent. Alles kulminierte in einer famosen Interpretation seiner jüngsten Oper Written on skin.

In Dortmund indes wird eine konzertante Aufführung gern durch halbszenische Beigaben aufgepeppt. Im konkreten Fall zeichnet Benjamin Davis für die „Inszenierung“ verantwortlich. Doch die Verwendung weniger Requisiten macht noch keine Deutung. Einzig die Mimik der Sänger verstärkt die dramatische Aussage des Stücks. Diese Intensität des Ausdrucks aber scheint sich vielmehr aus dem Gestus der Komposition herzuleiten denn aus Anweisungen eines Regisseurs. Zumal die sensationellen Solisten sich als wahre Bühnentiere entpuppen.

George Benjamin schrieb Written on skin 2012. Die Geschichte, die hier verhandelt wird, fußt auf einer Sage des 13. Jahrhunderts. Ein Maler soll all die Herrlichkeit eines hohen Herrn aufs Papier bannen. Der Künstler verführt die Frau des Hauses, der gekränkte Gatte reißt dem Nebenbuhler das Herz heraus und zwingt seine Frau es zu essen. Die stürzt sich aus dem Fenster. Ein archaischer, blutrünstiger Stoff, den Benjamin und Librettist Martin Crimp in die Moderne überführt haben. Drei zynische Engel schaffen eine brutale Welt, der hohe Herr gilt als „Beschützer“ seiner Frau Agnés. Deren Zorn, Trotz, Widerstand und Betrug wird durch die Verführungskraft des Malers genährt.

Der Komponist selbst hat erzählt, dass er diese Oper nicht als romantisch einstuft. Sie ist eher in ihrer gleißenden Hysterie ein Schwesterwerk der Elektra oder des Wozzeck. Schwierig wird es, Benjamin in der Selbsteinschätzung zu folgen, Written on skin sei gleichzeitig eine Anti-Moderne-Oper. Vielleicht liegt dies in der Konstruktion begründet. Sind doch die Hauptdarsteller zugleich Erzähler ihrer eigenen Geschichte.

Solchem Kunstgriff zum Trotz bleibt indes festzuhalten, dass hier eine hochemotionale musikdramatische Form auf uns einstürzt, die von größter Sogwirkung ist. Benjamins Klänge besitzen ungeheure Suggestivkraft, weil sie in stetem Fluss bleiben, keinesfalls dahinplätschern. Und wenn sich bisweilen die Spannung in bruitistischen Schlägen entlädt, davon aber im nächsten Moment nur ein sanft liegender Klang übrig bleibt, der sich fluoreszierend durch den Raum bewegt, sind wir staunend überwältigt.

Solch ein Moment findet sich etwa in dem Ehebruchgeständnis der Agnés, der entscheidende Kulminationspunkt. Die Wundersopranistin Barbara Hannigan wächst zur Rachefurie, das Orchester schreit und ächzt. Am Ende keucht die Sängerin in die musikalische Stille – außer Atem und total entäußert. Derartige Hingabe ans Stück und Identifikation ist der pure Glücksfall für die Aufführung. Nicht minder ausdrucksstark wirkt Christopher Purves als „Beschützer“ seiner Frau, ein zynischer Machtmensch, der sich selbst am meisten gefällt, der manchmal aber nur dasitzt wie ein geprügelter Hund.

Der Counter Tim Mead schließlich singt den Maler herrlich lyrisch, erklimmt leicht die luftigsten Höhen und glänzt mit starken Farben. Was das vielfältige Kolorit angeht, entpuppt sich auch das Mahler Chamber Orchestra als perfekter Nachzeichner. George Benjamin hat Kontrabassklarinette, Banjo, Glasharmonika und eine Viola da Gamba eingesetzt, als Garanten für so sphärische wie dunkel geheimnisvolle Klänge.

Mag der Komponist auch einer jener Künstler sein, die ihr Werk akribisch konstruieren, ist diese Oper alles andere als ein um sich selbst kreisendes Konstrukt. Theater wie Bonn und Detmold haben sich ihrer angenommen, andere Häuser sollten den Mut aufbringen, ihr oft eingefahrenes Repertoire zu erweitern. Es lohnt sich