Wo bleibt Don Giovanni?
Am Schluss schneit es, wie schon am Anfang, die Hochzeitsgesellschaft von Zerlina und Masetto liefert sich eine Schneeballschlacht. O wäre doch die ganze Giovanni-Inszenierung von Emmanuelle Bastet in dem Weiß versunken. Immerhin wird der Blick so noch stärker auf Francois-Xavier Roth gelenkt, der mit seinem Gürzenich-Orchester optisch allerdings ohnehin sehr präsent ist, da die Spielsäle des Staatenhauses (derzeitiges Ausweichquartier der Kölner Oper) über keinen Graben verfügen.
Alert und mit konzentrierter Gestik leitet Roth seine zweite Kölner Opernpremiere nach Benvenuto Cellini, ein Werk seiner persönlichen Wahl wie jetzt auch Giovanni. Da lässt man es gut sein, dass eine Inszenierung des ehemaligen Intendanten Uwe Eric Laufenberg (jetzt Wiesbaden) vor erst sechs Jahren Premiere hatte. Sie war intelligent und unterhaltsam. Frau Bastet hingegen macht weitgehend gähnen, mehr noch: mit ihrem intellektuellen Wabern verärgert sie nachdrücklich. Deshalb gleich wieder zurück zu Francois-Xavier Roth.
Nach den beiden Anfangsakkorden gestattet er sich lange Pausen, in denen sich freilich Spannung aufbaut. Umso rascher die gesamte Ouvertüre. Ein etwas ungewohnter, aber zielsicherer Kontrast. Sehr tempobewegt dann die gesamte Aufführung, aus deren Duktus nur das gemessen genommene Ständchen herausfällt. Durch die präzise und liebevolle Herausarbeitung von Klangdetails und die Formung auch von üblicherweise kaum bemerkten Linien gewinnt Roths Interpretation einen lebendigen Atem, welcher von der fantasievollen Rezitativbegleitung Theresia Renelts unterstützt wird (der Hammerflügel klingt leider etwas grob). Auch die (maßvolle) Auszierung bei den Gesangspartien mag ein wenig von der Musizierpraxis eines René Jacobs inspiriert sein. Weniger überzeugend wirkt die Non-Vibrato-Technik, welche beispielsweise die Begleitung der Ottavio-Arien etwas flach erscheinen lässt.
Die Sänger: drei Ensemblemitglieder, fünf Gäste. Zu den Ersteren zählt Regina Richter mit der Donna Elvira, eine Mezzo-Besetzung, wie sie auch bei anderen Mozart-Partien hin und wieder praktiziert wird (Zerlina, Despina). Regina Richter hat keine Mühen mit der Höhe, und ihr sattes Timbre versagt der Figur unangenehme Hysterie. Die irische Sopranistin Aoife Miskelly, früher im Opernstudio tätig, hat sich merklich zu einem Publikumsliebling empor gesungen. Ihre Zerlina klingt frisch und kokett; ein zauberhaftes Jungmädchen-Porträt. Als Masetto vermag ein Sänger nicht gleichermaßen Punkte zu sammeln, aber der Australier Luke Stoker gibt den stets eifersüchtigen Bauernburschen auf gewinnende Weise und mit markantem Bariton.
Wo schon von der Herkunft der Sänger die Rede ist: Vannina Santoni und Jean-Sébastien Bou stammen aus Frankreich. Zu den besonders häufig verkörperten Partien Bous gehört der Pelléas, aber auch als Don Giovanni hat er sich schon verschiedentlich bewährt. Der Sänger verfügt über eine machtvolle, prägnante Stimme, ist zudem ein agiler Darsteller und auch ein „attraktives Mannsbild“. Vannina Santoni bezaubert mit zarten Höhenpiani, die Stimme kann in dieser Lage aber auch schon mal etwas scharf klingen. Eine gute, jedoch nicht restlos überzeugende Donna Anna. Den Ottavio singt Julien Behr. Er ist kein tränender Lover, sondern ein Kavalier von kraftvoller Männlichkeit. Die Zwiespältigkeit der Rolle setzt sein lyrisch grundiertes, aber sehr bestimmtes Singen außer Kraft. Wie sich ihm Donna Anna trotz des nächtlichen Giovanni-Erlebnisses zugeneigt fühlt und es auch bleibt, gehört zu den wenigen positiven Details der Inszenierung. Mit seinem machtvoll orgelnden Komtur-Bass mäht der Georgier Avtandil Kasspeli das restliche Ensemble förmlich zu Boden. Tareq Nazmi stammt aus Kuwait, von wo aus Sängerkarrieren eher selten starten. Sein auf Buffomätzchen verzichtender, handfester Leporello überzeugt in Gänze.
Nun wäre wohl oder übel noch auf die Inszenierung einzugehen. Dass sie missfällt, wurde wohl schon deutlich. Visuell prägend sind die vielen beweglichen Gitterwände (Tim Northam), welche möglicherweise einen klaustrophobischen Eindruck vermitteln sollen. Während der gesamten Aufführung klettert Giovanni auf ihnen herum, beobachtet das Geschehen. Auch ein dominanter Schreibtisch lässt mutmaßen, dass Mozarts Protagonist in Köln das Geschehen rekapitulierend an sich vorbei ziehen lässt. Vergangenheitsbewältigung? Auch sonst verschlüsselt Frau Bastet mehr, als dass sie Fragen beantwortet und schlüssige Deutungen bietet. Die fahrigen Regieideen ermüden rasch; man versagt es sich bald, neu auftauchende Bilder und Vorgänge auf Sinn und Plausibilität zu befragen. Vieles wirkt auch ganz einfach hilflos wie der konzertante Komtur-Auftritt am Ende. Über Mozarts Werk hat sich Frau Bastet – so das einigermaßen frustrierende Fazit – kaum geäußert. Man hält sich also besser an den Dirigenten. Die durch Francois-Xavier Roth vermittelten Eindrücke machen den Abend zumindest partiell faszinierend.