Übrigens …

Die Eroberung von Mexico im Köln, Oper

Spätes Debut

Seit mindestens 20 Jahren gilt Peter Konwitschny als führender Regisseur im mitteleuropäischen Musiktheater. In Köln hat er bisher nie inszeniert. Auch sein spätes Debut in der Domstadt ist eine Ko-Produktion mit den Salzburger Festspielen, die im letzten Sommer in der berühmten Felsenreitschule herauskam.

Die Inszenierung trägt viele Merkmale, die man aus Konwitschnys Inszenierungen zwischen Hamburg und Wien kennt. In erster Linie zu nennen sind der fast berserkerhaft gesellschaftskritische Ansatz und die Einbeziehung des Zuschauerraumes in die Bühnenaktion. Noch wichtiger allerdings mutet Konwitschnys Fähigkeit an, das Geschehen wirklich aus der Partitur zu entwickeln. Dieser Regisseur kann Noten lesen! Und er nutzt diese Fähigkeit nicht für schöne Effekte, sondern für Sichtbarmachung von Haltungen und Inhalten, also für die szenische Hörbarmachung der Musik. Die 1992 uraufgeführte Eroberung von Mexico gewährt Konwitschny dabei viele Freiheiten. Das Werk hat keine stringente Handlung. Es basiert lose auf einem Essay von Antonin Artaud, der den Aufeinanderprall zweier Prinzipien vor dem Hintergrund des im Titel genannten historischen Ereignisses schildert, aber nicht eigentlich einen erzählerischen Vorgang gestaltet. Konwitschny wählt die Prinzipien Mann – Frau zur Veranschaulichung aus und fokussiert auf die Unfähigkeit zur Kommunikation beider Seiten, die eine gleichberechtigte Beziehung unmöglich macht und hier zu großer Entfremdung und – auch und vor allem sexueller – Brutalität führt. Handwerklich ist die Inszenierung ein Meisterwerk aus einem Guss. Die Personenführung ist genauer, intensiver kaum denkbar. Interpretatorisch geht Konwitschny billigend und nicht immer zielsicher die Gefahr der Provokation ein. Ein 30köpfiger, männlicher Bewegungschor drängt aus dem Publikum auf die Bühne und setzt eine Art Massenvergewaltigung ins Bild. Daraufhin kommen sechs langbeinige, fast nackte Damen und lassen sich fast buchstäblich „ansabbern“. Das Programmheft weist sie als „Malinche“ aus, die historische Übersetzerin Cortez‘. Irgendwann wird Montezuma, stimmlich wie darstellerisch von Ausrine Stundyte sehr prägnant gezeichnet, von Cortez, dem fies charmanten, stimmschönen Miljenko Turk, schwanger und gebiert – Tablets, I-Pads, Laptops. Alle Beteiligten, neben den Protagonisten noch die fantastischen Sängerinnen Susanna Andersson (sehr hoch) und Kismara Pessatti (sehr tief) und die ebenso fantastischen Sprecher Peter Pruchniewitz und Stephan Rehm, verziehen sich sofort mit einem Gerät in irgendeine Ecke und fettFilm projiziert eine Kollage aus fiesen Baller-Spielen. Die stumpfen ab, hemmen und verhindern Verständigung, sagt uns Konwitschny grell, fast platt, aber er weiß sich da tatsächlich im Einklang mit der hier destruktiv aufschreienden Musik von Wolfgang Rihm.

Die sieht der anwesende Komponist bei Alejo Perez tatsächlich in allerbesten Händen. Alles stimmt. Die Agogik, die Dynamik, die Transparenz des Klanges. Wesentlich hierfür ist neben der fantastischen Arbeit aller Beteiligten, von denen unbedingt auch das ganz konzise Gürzenich – Orchester erwähnt werden muss, und den großen koordinatorischen und interpretatorischen Fähigkeiten des Dirigenten – der Raum. Das vielgescholtene Staatenhaus passt optisch und akustisch perfekt zu Werk und Inszenierung. Hier ist es mühelos möglich, die von Rihm geforderten Bläser-und Percussionsinseln in den Zuschauerraum zu integrieren, so dass mit gekonnter Klangregie ein fantastischer Surround-Sound erreicht wird. Zudem verstärkt der sehr breite, aber sehr niedrige Bühnenraum das Bedrohlichkeitspotenzial der Inszenierung. Und dann ist da diese Musik. Trotz vieler leiser, lyrischer Stellen muss man sie nicht mögen. Kann man vielleicht auch nicht. Zu überraschend, zu ungeschliffen schreit sie immer wieder auf, bohrt sie sich ins Bewusstsein, mal durch aggressive Überwältigung, mal durch untergründiges Sicheln und Knirschen. Vergessen wird man sie schwer.