Die verkaufte Braut im Aachen, Theater

Der Mann mit dem Aktenkoffer

Das Werk wird lexikalisch als „komische Oper“ geführt, teilweise sogar als „komisches Singspiel“. Letztere Formulierung entspricht vermutlich der Fassung mit gesprochenen Dialogen, während heutzutage die finale Überarbeitung mit Rezitativen üblich ist. Gegen das Wort „komisch“ gilt es sich aber wirklich zu wehren. Natürlich ist unverkennbar, dass Smetanas Werk eine Reihe teilweise sogar drastisch heiterer Szenen enthält. Aber die Liebesgeschichte Marenka/Jenik führt in ganz und gar poetische Welten (Dur-Teil des Duetts 1. Akt), streift sogar die Tragödie (Arie Marenkas 3. Akt). Und ob das Ende wirklich so gänzlich schattenlos verläuft, wie es die Musik suggeriert, wird immer von der szenischen Interpretation abhängen.

Das Dirigat von Justus Thorau lässt eine tiefe Liebe zum Werk erkennen – wie könnte es auch anders sein? Sie verführt den jungen Kapellmeister allerdings häufig dazu, den Klang etwas bleigewichtig auszurichten, den heiter-sportiven Zauber der Musik zu beschweren. „Gib Gas“ möchte man Thurau dann zurufen. Die Ouvertüre zeigt, dass das Sinfonieorchester Aachen eine flottere Gangart ohne Schwierigkeiten zu meistern imstande wäre.

Eine Besonderheit der Aachener Produktion ist die Wahl der Übersetzung. In der maßstäblichen Plattenaufnahme unter Rudolf Kempe (1962, Pilar Lorengar, Fritz Wunderlich, Gottlob Frick) bekommt man die jahrzehntelang verbindliche Eindeutschung von Max Kalbeck zu hören. Als Walter Felsenstein die Oper 1950 an seiner Komischen Oper Berlin realisierte, stieß er sich u.a. an der Eingangszeile von Marenkas erster Arie „Gern ja will ich dir vertrauen, gläubig blicken auf zu dir“. Er stoppte die Produktion und ließ sich eine Rohübersetzung herstellen. Da ist von Racheschwüren im Falle von Untreue die Rede. Das berücksichtigte sogar schon die erste deutsche Textfassung von Emanuel Züngel, welche mit vielen Verteidigungsworten in Aachen benutzt wird. Ganz glücklich ist man aber nicht mit ihr. Gerne würd man einmal die Fassung mit Sprechtexten kennenlernen.

Die Inszenierung in der Karls-Stadt ist freilich nicht dazu angetan, sich mit solchen Problemen in sinnvertiefender Weise zu beschäftigen. In den theater-untypischen Räumen des Kölner Kolumba-Museums hat Béatrice Lachaussée vor geraumer Zeit Leos Janaceks Tagebuch eines Verschollenen und Gustav Holst Savitri zu einem stilistisch variierenden, dabei ausgesprochen spannenden Theaterabend kombiniert. Der Aachener Intendant sah diese Aufführung, wobei das Engagement für die Aachener Braut bereits vertragsschriftlich gewesen sein dürfte. Nach einer heiklen, vom Publikum weitgehend abgelehnten Inszenierung der Entführung (nicht gesehen) zeigten sich die Zuschauer nunmehr euphorisch beglückt, was für den Rezensenten freilich nicht nachvollziehbar ist.

Hohe Bretterwände mit einem einsamen, links angebrachten Blumenkasten (Dominique Wiesbauer) verkleinern die ohnehin nicht übermäßig große Aachener Bühne, vermitteln fast Gefängnisatmosphäre, was auf die Zeichnung von Volksleben ohne weiteres Einfluss hätte nehmen können. Doch nichts davon. Während der Ouvertüre bestaunt der Chor, säuberlich in Kleingruppen aufgeteilt und säuberlich mal von links, mal von rechts auftretend, ein Plakat des wieseligen Heiratsunternehmers Kezal. Aus diesem macht Woong-Jo Choi mit seiner wahrhaft raumfüllenden Bassstimme ein „großes“ Porträt. Aber man erlebt einen modernen Geschäftsmann mit Aktenkoffer (Kostüme: Nele Ellegiers), in welchem en masse Verkaufsverträge für Bräute schlummern. Gibt’s das heute noch? Hätte die Regisseurin nicht besser auf eine alte böhmische Tradition zurückgreifen und sich auch sonst auf historische Couleur locale konzentrieren sollen? Was sollen nun aber die stramm aufmarschierenden, allesamt frisch ondulierten Dörflerinnen? Sie wirken wie eine Karstadt-Meute auf dem Sprung in den Sommerschlussverkauf. Auch sonst hat Béatrice Lachaussée letztlich nicht viel anzubieten. Die mit geschwenkten Geranientöpfen ziemlich stupide bebilderte Polka ist nur ein weiterer befremdlicher Einfall unter vielen.

Wenn Vasek am Schluss im Bärenfell in die Höhe gezogen wird, soll das wohl einen Befreiungsakt visualisieren, aber dieser und andere Regieeinfälle sind nichts Halbes und nichts Ganzes. Sollte man unter diesen Umständen womöglich hoffen, dass eine Begegnung der einander unbekannten Brüder Jenik und Vacek stattfindet (wie in der Kölner Noelte-Inszenierung 1984)? Wirklich köstlich sind einzig die Auftritte des im Wortsinn springlebendigen Zirkusdirektors (John Zuckerman) und des leicht verschwulten Indianers (Chormitglied Stefan Hagendorn). Doch wie gesagt, das Premierenpublikum reagierte frohgestimmt.

Neben Woong-jo Choi/Kezal begeistert vor allem und sogar noch stärker Camille Schnoor als Marenka. Ihr blühender Sopran spiegelt „Lust und Leid“ dieses Mädchens mit Inbrunst. Die ausdrucksvoll geführte Stimme der Französin wird künftig am Münchner Gärtnerplatz-Theater zu hören sein. Bei Chris Lysacks Tenor leuchten vor allem die markanten Spitzentöne. Für den Jenik bringt er auch ein gutes Maß an burschikosem Charme mit. Neu im Ensemble: der Tenor Keith Bernard Stonum, bis vor Kurzem Mitglied es Kölner Opernstudios. Seine kraftvolle Stimme dürfte ihre beste Wirkung nicht unbedingt in lyrischen Partien finden. Sein Pedrillo konnte nicht erlebt werden, für Vasek geht dem jungen Sänger ein wenig echte Außenseiter-Unschuld ab. Sein Stotterer weiß sich gegen Anfeindungen durchaus zur Wehr zu setzen. In einem Moment wird das von der Regie tatsächlich angedeutet: Vasek kontra Mütterlein Háta (köstlich aufgedonnert: Sanja Radisic). Trotz genannter Einschränkungen: zuletzt hat Keith Bernard Stonum Zuschauersympathien voll auf seiner Seite.

Erstaunlich gut schlägt sich Chormitglied Jorge Escobar als Krusina, um Grade besser als Ensemblemitglied Pawel Lawreszuk (Micha). Die vielseitige, diesmal etwas scharfzüngige Irina Popova begnügt sich mit der kleinen Partie der Ludmila: Der insgesamt adäquaten Esmeralda Suzanne Jerosme könnte etwas mehr Koketterie nicht schaden.