Übrigens …

Le Toréador/L’Heure espagnole im Aachen, Theater

Ehekrisen in Spanien

Erkennen Sie die Melodie? „Ah vous dirai-je, mamam“ ist ein französisches Kinderlied, dessen Fasslichkeit reizt, es zu variieren, Mozart hat es getan und damit stark zu seiner Popularisierung beigetragen. Haydn zitiert die Melodie in seiner Sinfonie Nr. 94, Saint-Saens in „Karneval der Tiere“; auch Liszt, Dohnányi und andere bedienten sich ihrer. Adolphe Adam erweiterte die auch als „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ bekannte Melodie zu Bravourvariationen, teils als Solostück, teils ensembleergänzt als Nummer in seiner Oper Le Torédador. Das Werk kam in jüngerer Zeit in Bielefeld heraus (2007), dann 2012 in Luzern und 2014 in Wuppertal. Allgemein wurde der Musik komödiantischer Charme bescheinigt. Das wird jetzt in Aachen unter Herbert Görtz bestätigt, wobei das Orchester der Hochschule für Musik und Tanz Köln, Standort Aachen, gerechterweise nicht streng dem Vergleich mit dem Sinfonieorchester Aachen ausgesetzt werden sollte, welches üblicherweise für Opernaufführungen zuständig ist.

Seit mehr als zwanzig Jahren existiert eine Kooperation von Theater Aachen und städtischer Musikhochschule; die Opernproduktionen bilden mit schöner Regelmäßigkeit den Saisonabschluss des Hauses. Zu den ehrgeizigsten Projekten der Vergangenheit gehörte Schuberts Fierrabras, inszeniert vom damaligen Hochschuldirektor Josef Protschka, welcher als aktiver Sänger die Titelpartie in der berühmt gewordenen Wiener Ruth-Berghaus-Aufführung verkörpert hatte. Auch die jetzige Werkkombination - Adolphe Adams Le Toréador und Maurice Ravels L’Heure espagnole – bedient sich rarer Stücke, denn auch Ravel gehört auf den Bühnen nicht eben zu den „Rennern“, obwohl eine ganz und gar entzückende Komödie.

Klammer beider Opern ist der Ort des Geschehens, Spanien nämlich. Dass bei Adam ein Toréador (a.D.) als Titelheld fungiert, muss man freilich nicht als besonders belangvoll ansehen, es könnte um einen Alters-Casanova jedweder Couleur gehen. Wesentlich interessanter ist der zweite Teil des Operntitels: „L’Accord parfait“, also „Die perfekte Abmachung“. Bei der psychologisch freilich nicht auf die Waagschale zu legenden Handlung geht es darum, dass ein (wie auch immer zueinander stehendes) Paar mit außerehelichen Capricen beschäftigt ist. Sie – Coraline, ehemalige Opernsängerin – hat es mit einem gerne aus vollem Herzen ausflippenden Orchesterflötisten, er – Don Belflor, der einstige Stierkämpfer – mit einer im Original nicht auftretenden Caritéa. Nach einer emotionalen Explosion wird aufs Neue Treue geschworen, wobei Tracolin, der Flötist, als Aufpasser in die Hausgemeinschaft einbezogen wird. Künftigen Techtelmechteln sind damit natürlich Tür und Tor geöffnet.

Im moralstrengen 19. Jahrhundert war diese kesse Story nur möglich, weil Libretti nicht mehr der Zensur vorgelegt werden mussten. Was damals gewagt erschien, bewirkt heute freilich eher ein sanftes Lächeln, und die Inszenierung des Regiedebütanten Christian Raschke verlegt die Handlung nicht gerade auf die die Couch eines Psychoanalytikers. Sie bleibt stets Komödie, und das mit tausenden von witzigen Einfällen. Die überreife Caritèa (Irena Drawiec) gehört ebenso dazu wie die aufgekratzte Zwischenakt-Pantomime zur werkfremden Musik von „España cañí“, einem Paso doble von Pascual Marquina Narro (für Aachen eigens arrangiert). Natürlich haben auch die äußerst spiellaunigen Sänger ihren Anteil an diesem stark bejubelten Abend. Larisa Vasyukhina lässt die Koloraturen Carolines perfekt aus ihrer Kehle sprudeln und bewältigt (gebürtige Russin) den Dialogtext zudem akzentfrei. Tobias Glagau charmiert liebenswürdig den Tracolin und hat keine Mühe mit seinem hohen C. Die Extrembereiche seines Bariton müsste Agris Hartmanis (Don Belflor) hingegen noch etwas festigen. Aber auch er wirft sich voll auf seine dankbare Partie.

Ein besonders Kompliment hat dem Bühnenbildner Detlev Beaujean zu gelten. Aus der letzten (noch laufenden) Produktion, Smetanas „Verkaufte Braut“, hat er sich die rahmenden Bretterwände ausgeliehen, einen schmucken Durchgang hinzu gebaut und das Ganze mit Pflanzenarrangements herausgeputzt. Stieraccessoirs vermitteln ein wenig spanisches Kolorit.

Ein solches fehlt bei Ravels Spanischer Stunde zur Gänze (auch bei den Kostümen von Lea Reusse). Aber es ist ja nicht à tout prix erforderlich. Diesmal versetzt Beaujeans Szene mit ihrem Räderwerk den Zuschauer in den Chaplin-Film „Modern Times“. Sehr erheiternd. Auch Christian Raschkes Inszenierung sorgt für Turbulenzen (übrigens unter nochmaliger Einbeziehung der Caritéa-Figur). Das Porträt des sentimental überkandidelten Sängers Gonzalve (Seon-Wook Ka) typengerecht und mit geschmeidigem Tenor) gelingt ihm besonders. Aber auch den in seinem Uhrmacher-Beruf eingetrockneten Torquemada (Tobias Glagau typisiert jetzt ganz anders) und seine liebestolle Gattin Concepcion (sopranlodernd und sehr erotisch: Panagiota Sofroniadou) setzt er effektvoll in Szene. Die von der Dame des Hauses bewunderte muskulöse Statur des Maultiertreibers Ramiro ist Fabio Lesuisse (sängerisch zuverlässig) nicht eben gegeben (sein Tattoo ist kein Ersatz); da hätte die Kostümierung nachhelfen sollen. Auch der reiche, geile Gomez von Jan Schulenburg besitzt nicht den vollen karikaturistischen Umriss dieser Figur, kompensiert das aber sängerisch gekonnt. Ravels vitale und raffinierte Musik kommt unter Raimund Laufen gut zur Geltung. Ein sehr animierender Abend.