Die Fledermaus im Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier

Scharfe Typen bei Orlovsky

Das sind ja echt scharfe, schrille Typen, die Orlovsky da in seinem Salon versammelt hat. Wenig Fantasie reicht schon, um sich lebhaft vorstellen zu können, was da in den hinteren Räumen so abgeht. Und alle Party-Gäste dieser „Fledermaus“, so ist zu vermuten, tanzen nach Orlovskys Pfeife - respektive seiner Dompteurs-Peitsche. Allein: das Personenarrangement wirkt seltsam starr und steif, trotz seines extrem lasziven Outfits. Und auch der heiße Csardas, den die geheimnisvolle „ungarische Gräfin“ anstimmt, brodelt weit unter dem Siedepunkt. Das kann alles dem Umstand geschuldet sein, dass das Musiktheater im Revier derzeit wegen Bauarbeiten auf sein Großes Haus verzichten muss und allein das Kleine Haus bespielt wird. Eben auch mit der Fledermaus. Regisseur Carsten Kirchmeier inszeniert es mit Blick auf die engen räumlichen Gegebenheiten. Und die Kritik an mangelnder Bewegung im Orlovsky-Palais ist auch schon alles, was an Kirchmeiers Arbeit moniert werden könnte.

Denn insgesamt liefert er eine Inszenierung, die zu sehen einfach Spaß macht. Ein klein bisschen Klischee (Alfred als Tenor mit weißem Schal), ein wenig Gut-Bürgerlichkeit (das Etablissement der Eisensteins und diese selbst), viel knallige Optik (der erwähnte Orlovsky-Salon)... – und dann auch das Element des Tanzes. Zwei Tänzer sind es, die die Salon-Statik aufbrechen (unter anderem im Csardas). Eine „Burlesque-Tänzerin“ (wie sie im Programmheft bezeichnet wird) gibt nach dem allgemeinen Wohlfühl-„Duiduuu“ eine nicht unerotische Einlage in einem überdimensionalen Cocktail-Glas. Da hat sich Orlovsky mal was ganz Besonderes für seine illustren Gäste ausgedacht – und Carsten Kirchmeier einen äußerst überraschenden Schluss dieser im Grunde ja ziemlich ernsten Geschichte. Bei ihm endet sie... tödlich! Erst erwürgt Eisenstein seinen Anwalt Dr. Blind, dann jagt sich Gefängnisdirektor Frank, der um Ansehen und Karriere bangt, eine Kugel in den Kopf. Das sind Momente, da man noch schluckt. Aber wenn’s dann weiter geht mit der Abknallerei (Eisenstein erledigt Alfred – und so weiter) nimmt man’s, so wie es auf der Bühne realisiert wird, ziemlich schnell mit Humor. Denn das ist Komik! Und letztendlich „nur“ ein Gedankenexperiment Orlovskys zur Lösung einer Ehekrise, nach dessen Ende alle Toten wieder auf den Beinen stehen.

Gesungen wird in Gelsenkirchen gut. Aber es könnte besser sein. Denn kaum einer der acht Solisten – die durchgängig mit enormer Bühnenpräsenz aufwarten - liefert wirklich in jedem Moment saubere Klänge. Am ehesten noch Michael Dahmen als Eisenstein und Joachim G. Maaß als Frank. Hongjae Lim verschmiert oft larmoyant seine Töne und ist auch noch nicht hundertprozentig mit dem deutschen Idiom vertraut. Peter Rembold hat einen schön gefärbten, runden Bariton, dem die Sicherheit in der Höhe noch fehlt (er ist Mitglied im „Jungen Ensemble am MiR“), Alfia Kamalova als Rosalinde wirkt mitunter rau – wie auch Marie Heeschen als Adele. Auch Anke Sieloff als Orlovsky ist nicht immer treffsicher, Florian Neubauer als Dr. Blind grundsolide, aber in der Höhe etwas fahl in der Klanggebung. Die Sprechrollen: Sion Choi gibt eine männliche Ida (oder Ido?), Ute Wieckhorst eine voll und ganz überzeugende Putzfrau namens „Fräulein Forsch“ (Nomen est omen), die das Regiment im Knast führt.

Zu hören ist Strauß' Musik in einer 1992 am Theater Basel erstmals gespielten Fassung von Franz Wittenbrink – reduziert auf neun MusikerInnen: zwei Violinen, Cello, Kontrabass, Flöte, Klarinette, Schlagwerk, Harmonium und Klavier. An diesem sitzt Kapellmeister Thomas Rimes – und bringt sozusagen eine Kammer-Version der Fledermaus zur Geltung, die nichts, rein gar nichts an großer Sinfonik und üppigem Orchesterklang vermissen lässt.