Poly-Amorie statt knallharter Diplomatie
Die Regisseurin Monika Gintersdorfer und der Bildende Künstler Knut Klaßen – seit 2005 unter dem Label Gintersdorfer/Klaßen ein Performer-Duo – führen uns in dem Politmusical Der Botschafter mit ihrem deutsch-ivorischen Team nach Westafrika auf die Spuren zweier deutscher Botschafter, die dort – sei es in Guinea, Sierra Leone, Liberia oder an der Elfenbeinküste – Krisen, Putsche und Bürgerkriege durchstehen müssen. Dabei mischt sich in kreativem Spiel Authentisches – von Gintersdorfer und Klaßen bei wiederholten Besuchen an der Elfenbeinküste präzise recherchiert - mit Utopisch-Fiktivem zu einer engagierten, spekulativen Performance: Aus eingesammelten Realitätsbruchstücken, Erfahrungen, Beobachtungen und Hoffnungen wagen es Gintersdorfer/Klaßen, eine leidenschaftliche Vision denk- und spielbarer Verständigungsmöglichkeiten zu montieren.
Zu eher verhaltener Musik beginnt die Performance mit einem überlangen Monolog, vorgetragen von Anne Tismer (manchem vielleicht noch aus ihrer Schaubühnenzeit als sensationelle Nora, die auch bei den Duisburger Akzenten zu sehen war, in Erinnerung).
„Was ist ein Botschafter? Ein Botschafter ist…“ belehrt sie uns in monotonem Sprechgesang. Am Ende fragt ein Mitspieler, ob sie Wikipedia auswendig gelernt habe. Der Frage schließe ich mich gerne an. Dann wird es temperamentvoll: bei mitreißender Musik, rhythmischem Tanz und permanentem Rollen- und Perspektivwechsel berichten die Performer vom grausigen Geschehen in Westafrika, von Diktatur und postkolonialistischem Gebaren.
Zwei Botschafterpersönlichkeiten, zwei höchst unterschiedliche Charaktere und Weltverständnisse, halten dabei das Kaleidoskop der Episoden, Figuren und Ideen zusammen. Zunächst ist da der klassische Diplomatentyp, ganz alte Schule, „Botschafter Soutterain“: formalistisch, distanziert, verhalten interessiert. Wenn‘s brenzlig wird, verkriecht er sich bei Pizza und Bachmusik in seiner Residenz, während draußen der Machtkampf zwischen Laurent Ghagbo und Alassane Ouattara tobt. Er wird abgelöst von „Botschafter Ritter“, einem krisenerfahrenen Lebemann mit rasanter guineischer Partnerin und vielen Gesichtern, die schillernd und gutgelaunt von den verschiedenen Ensemblemitgliedern vorgeführt werden: vom postmodernen Utopisten bis zum Alt-Hippie, alles hat er drauf - und wird in seinem Weltverständnis noch getoppt durch die Eskapaden seiner Adoptivsöhne, sechs oder sieben mögen es sein. Virtuos steigern sich dabei Wort, Musik und Choreographie zu einer witzig-chaotischen Vision allumfassender Liebe. Doch immer wieder prallt er mit seinem spekulativen Optimismus ab an der Arroganz der Potentaten.
Es braucht allerdings hohe Aufmerksamkeit, um über die beinahe zwei Spiel-Stunden den Überblick einigermaßen zu wahren, um das Verwirrspiel der Figuren und Fakten zu entwirren, die Zuordnung zu Ländern und Potentaten zu durchschauen und dabei noch dem rasanten Sprachenwechsel zu folgen zwischen Deutsch, Französisch, ivorischen Idiomen und englischen Sprachfetzten, zwischen belehrendem Monolog und agitatorischem Gebrüll. Polit-Slogans, Elektro–Punk und Afro-Rhythmen neben Referenzen an die Musical-Filmkomödie Der Regenschirm von Cherbourg von Jaques Demys (so die Performer in einem Interview) machen Eindruck, bleiben aber doch letztendlich stecken im Anarchischen ohne zielführend zu Neuem, Politisch-Relevantem zu sein.
„Transnationale, transkontinentale Poly-Amorie statt knallharter Diplomatie!“ tönt es aus dem Mikrofon. Franck Edmond Yao, der mit seinem gebremst-ekstatischen Tanz faszinierte, verkündet es als sein persönliches Kredo. Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.