Übrigens …

Lucia di Lammermoor im Köln, Oper

Weitgehend gelungener Zeittransfer

Die Geschichte von Lucia di Lammermoor ist auch eine Geschichte von Koloratur-Primadonnen und Tenor-Lovers. Wer singt die Titelpartie am perfektesten, diskutieren Melomanen unermüdlich (eine Favoritin dürfte derzeit Diana Damrau sein), welcher Edgardo schmachtet am erotisierendsten? Bei der Kölner Premiere der Donizetti-Oper wurde der Brasilianer Atalla Ayan nach seiner letzten Arie (welche gleichzeitig das Finale der Oper darstellt) mit Jubel überhäuft. Ein besonders brutaler „Opernfreund“ blökte ein hysterisches “Bravo“ sogar in die noch nicht verklungene Musik hinein.

Wie die schauerromantische Geschichte nach Walter Scott heute erzählen, in deren Mittelpunkt eine Wahnsinnsszene steht, wie sie in der Oper des 19. Jahrhunderts ein gerne benutzter Szenentypus war? Eine kürzlich in München wiederaufgenommene Inszenierung von Barbara Wysocka verlegt die Handlung ins amerikanische Upper-Class-Milieu der vergangenen fünfziger Jahre, mit einem Edgardo, welcher – ein Nachfahre von James Dean – den Outlaw macht. Eine vergleichbare Zeitentscheidung trifft Eva-Maria Höckmayr in Köln. Sie wählt für die Fehde der Ashtons und Ravenswoods die Schicksale von Juden im Dritten Reich als Hintergrund. Die bekannte Familie Tugendhat liefert das Fallbeispiel, ohne dass die Regisseurin damit ein akribisches Geschichtsreferat beabsichtigt. Allerdings gleicht die Bühne von Christian Schmidt dem berühmten, von Ludwig Mies van der Rohe gestalteten Tugendhat-Haus in Brünn nahezu auf’s Haar (zeitpassende Kostüme: Saskia Rettig).

Blickfang ist zum einen eine breite Treppe, vorteilhaft nicht zuletzt für die Gliederung von Massenszenen. Sie führt zu einem hoch angesiedelten Wohnraum, dessen zimmerhohe Vorhänge durchscheinend werden können. Man sieht dann Szenen, welche über die Befindlichkeit einzelner Personen informieren oder Bilder aus der Vergangenheit beschwören, wo im aufkommenden Nationalsozialismus die Familienfehde begann (Erster Teil „Die Abreise“), an welche die Nachkommen (auf der einen Seite die Geschwister Lucia/Enrico, auf der anderen Edgardo) gekettet bleiben. Enrico, Vertreter also einer neuen Generation, handelt weniger mit eigener krimineller Energie, er will vielmehr das Familienerbe erhalten sehen. Dieser zweite Teil mit zwei Akten („Der Ehevertrag“) spielt nach 1945, als die Entnazifizierungswelle bereits ein wenig abgeebbt ist. Da erscheint sogar eine Heirat Lucias mit Arturo Bucklaw möglich, welcher in Köln zum Sohn eines Repräsentanten amerikanischer Besatzungsmächte wird. Enrico betreibt diese Verbindung mit kaum noch kontrollierter Rastlosigkeit, setzt dabei auch Falschdokumente ein (über den im Ausland weilenden Edgardo, welchem eine neue „Flamme“ angedichtet wird). Dies und auch Folgendes ist dann wieder weitgehend originale Opernhandlung.

Der Zeittransfer von Eva-Maria Höckmayr erweist sich als weitgehend plausibel, verträgt sich sogar erstaunlich gut mit Donizettis Belcanto-Musik. Bei der Fülle ein- und aufgeblendeter Bilder muss man sich freilich sehr konzentrieren, aber das ist legitime Forderung an ein Publikum.

Wurde bei aller Aufmerksamkeit dennoch etwas übersehen? Der Überraschungscoup der Inszenierung ist nämlich die Szene, wo sich der zigarettenrauchende Arturo (als Typ wirkt der geschätzte Nachwuchstenor Taejun Sun etwas zu jungenhaft freundlich) zu einer Annäherung vorwagt. Enrico beobachtet diesen Moment, ergreift einen Leuchter und erschlägt Arturo. Ein  fraglos brutales Erlebnis für Lucia – aber dass sie darüber wahnsinnig wird, ist wohl doch nur bedingt glaubwürdig. Und wieso überhaupt dieser Affektmord Enricos? Sehr viel später erfährt man es. Enrico legt sich zu der wie leblos hingekauerten Lucia auf’s Bett, eine überraschende Wälsungen-Intimität. Innige Umarmung, dann Doppelselbstmord per Pistole. Edgardo wird sich, die ganze Situation durchschauend, zuletzt mit zerbrochenem Glas die Halsschlagader aufschneiden. „Tot denn alles, alles tot“.

Nicht alle psychologischen Übergänge bei dieser inszenatorischen Neudeutung verlaufen widerstandslos, die Rolle des Priesters Raimondo wird nicht ganz durchsichtig, die Tänzchen von Alisa im Finalbild irritieren, es gibt überflüssig Aufgeregtes wie die beiden Kellnerinnen. Doch grundsätzlich überzeugt Eva-Maria Höckmayrs Konzeption. Sie macht ein Werk spielbar, welches einem längst entrückt zu sein schien (trotz guter Aufführungsstatistik). Selbst die große Maria Callas (an welche man zwangsläufig denkt) würde mit ihrer früher gültigen Deutung heute noch in Gänze überzeugen können. Erfreulich, dass trotz einiger Negativreaktionen die Zustimmung des Premierenpublikums überwog.

Im Kölner Provisorium „Staatenhaus“ sitzt das Gürzenich-Orchester wieder einmal seitlich, stört also nicht den Blick auf die Bühne, welche aufgrund der äußerst tief gelagerten vorderen Spielfläche ohnehin für viele Zuschauer schwer einsehbar ist, wie in Gesprächen zu hören war. Aber mit solchen oder anderen Störfaktoren wird auch künftig zu rechnen sein, bis – wann auch immer – die Sanierung des Opernhauses am Offenbach-Platz ihr Ende gefunden hat.

Am Dirigentenpult: Eun Sun Kim. Dass das Orchester durch die Sitzordnung etwas wattig klingt, ist der Musik durchaus nicht abträglich, bleibt ihr auf diese Weise doch ein romantisches Sfumato erhalten. Die Dirigentin liebt gleichwohl die leidenschaftliche Geste. So driftet Donizetti nicht zu blässlichem Schöngesang ab, sondern bleibt dramatischem Ausdruck verpflichtet. In der Wahnsinnsszene wird übrigens die original vorgeschriebene Glasharmonika verwendet. Voller Einsatz des Chores (Sierd Quarré).

Auf den anfangs bereits erwähnten Atalla Ayan ist zurückzukommen. In der Tat ein Ausnahmetenor mit angenehm weichem, schmiegsamem Timbre, welches auch in der Höhen voll erhalten bleibt (minimale Anstrengungen nicht weiter beachtet). Dynamisch wäre die Partie des Edgardo freilich ein wenig differenzierter vorstellbar. Die rassig schlanke Olesya Golovneva, in Köln mit so unterschiedlichen Partien wie Konstanze, Vitellia, Anna Bolena oder Tatjana erlebt, kommt von der Koloratur her, scheint diesem Fach aber langsam zu entwachsen, wie ihr Lucia-Debüt zeigt. Sie beherrscht den Ziergesang noch immer, aber nicht mehr ganz mühelos und muss kleinere „Anpassungen“ vornehmen. Stärke dieser vielseitigen Sängerin ist die Bandbreite des Ausdrucks, welcher Hand in Hand geht mit enormer Bühnenpräsenz, Schicksal spüren lässt und die Emotionsfähigkeit des Publikums unmittelbar anrührt. Als Enrico bietet Boaz Daniel seinen vollsaftig maskulinen, kantablen Bariton auf, welcher sich bereits bei der Doppelrolle Amfortas/Klingsor bewährte. Der feste Bass des jungen Schweden Henning von Schulman gefällt in der Rolle des Raimondo, Judith Thielsen gibt die um Lucia fürsorglich bemühte Alisa. Ralf Rachbauer ist der schmierige Normanno, welcher als „Alt-Nazi“ gefährlich aus einer noch nicht bewältigten Vergangenheit in ein noch nicht gesichertes Heute hineinragt.

 

Die Geschichte von Lucia di Lammermoor ist auch eine Geschichte von Koloratur-Primadonnen und Tenor-Lovers. Wer singt die Titelpartie am perfektesten, diskutieren Melomanen unermüdlich (eine Favoritin dürfte derzeit Diana Damrau sein), welcher Edgardo schmachtet am erotisierendsten? Bei der Kölner Premiere der Donizetti-Oper wurde der Brasilianer Atalla Ayan nach seiner letzten Arie (welche gleichzeitig das Finale der Oper darstellt) mit Jubel überhäuft. Ein besonders brutaler „Opernfreund“ blökte ein hysterisches “Bravo“ sogar in die noch nicht verklungene Musik hinein.

Wie die schauerromantische Geschichte nach Walter Scott heute erzählen, in deren Mittelpunkt eine Wahnsinnsszene steht, wie sie in der Oper des 19. Jahrhunderts ein gerne benutzter Szenentypus war? Eine kürzlich in München wiederaufgenommene Inszenierung von Barbara Wysocka verlegt die Handlung ins amerikanische Upper-Class-Milieu der vergangenen fünfziger Jahre, mit einem Edgardo, welcher – ein Nachfahre von James Dean – den Outlaw macht. Eine vergleichbare Zeitentscheidung trifft Eva-Maria Höckmayr in Köln. Sie wählt für die Fehde der Ashtons und Ravenswoods die Schicksale von Juden im Dritten Reich als Hintergrund. Die bekannte Familie Tugendhat liefert das Fallbeispiel, ohne dass die Regisseurin damit ein akribisches Geschichtsreferat beabsichtigt. Allerdings gleicht die Bühne von Christian Schmidt dem berühmten, von Ludwig Mies van der Rohe gestalteten Tugendhat-Haus in Brünn nahezu auf’s Haar (zeitpassende Kostüme: Saskia Rettig).

Blickfang ist zum einen eine breite Treppe, vorteilhaft nicht zuletzt für die Gliederung von Massenszenen. Sie führt zu einem hoch angesiedelten Wohnraum, dessen zimmerhohe Vorhänge durchscheinend werden können. Man sieht dann Szenen, welche über die Befindlichkeit einzelner Personen informieren oder Bilder aus der Vergangenheit beschwören, wo im aufkommenden Nationalsozialismus die Familienfehde begann (Erster Teil „Die Abreise“), an welche die Nachkommen (auf der einen Seite die Geschwister Lucia/Enrico, auf der anderen Edgardo) gekettet bleiben. Enrico, Vertreter also einer neuen Generation, handelt weniger mit eigener krimineller Energie, er will vielmehr das Familienerbe erhalten sehen. Dieser zweite Teil mit zwei Akten („Der Ehevertrag“) spielt nach 1945, als die Entnazifizierungswelle bereits ein wenig abgeebbt ist. Da erscheint sogar eine Heirat Lucias mit Arturo Bucklaw möglich, welcher in Köln zum Sohn eines Repräsentanten amerikanischer Besatzungsmächte wird. Enrico betreibt diese Verbindung mit kaum noch kontrollierter Rastlosigkeit, setzt dabei auch Falschdokumente ein (über den im Ausland weilenden Edgardo, welchem eine neue „Flamme“ angedichtet wird). Dies und auch Folgendes ist dann wieder weitgehend originale Opernhandlung.

Der Zeittransfer von Eva-Maria Höckmayr erweist sich als weitgehend plausibel, verträgt sich sogar erstaunlich gut mit Donizettis Belcanto-Musik. Bei der Fülle ein- und aufgeblendeter Bilder muss man sich freilich sehr konzentrieren, aber das ist legitime Forderung an ein Publikum.

Wurde bei aller Aufmerksamkeit dennoch etwas übersehen? Der Überraschungscoup der Inszenierung ist nämlich die Szene, wo sich der zigarettenrauchende Arturo (als Typ wirkt der geschätzte Nachwuchstenor Taejun Sun etwas zu jungenhaft freundlich) zu einer Annäherung vorwagt. Enrico beobachtet diesen Moment, ergreift einen Leuchter und erschlägt Arturo. Ein  fraglos brutales Erlebnis für Lucia – aber dass sie darüber wahnsinnig wird, ist wohl doch nur bedingt glaubwürdig. Und wieso überhaupt dieser Affektmord Enricos? Sehr viel später erfährt man es. Enrico legt sich zu der wie leblos hingekauerten Lucia auf’s Bett, eine überraschende Wälsungen-Intimität. Innige Umarmung, dann Doppelselbstmord per Pistole. Edgardo wird sich, die ganze Situation durchschauend, zuletzt mit zerbrochenem Glas die Halsschlagader aufschneiden. „Tot denn alles, alles tot“.

Nicht alle psychologischen Übergänge bei dieser inszenatorischen Neudeutung verlaufen widerstandslos, die Rolle des Priesters Raimondo wird nicht ganz durchsichtig, die Tänzchen von Alisa im Finalbild irritieren, es gibt überflüssig Aufgeregtes wie die beiden Kellnerinnen. Doch grundsätzlich überzeugt Eva-Maria Höckmayrs Konzeption. Sie macht ein Werk spielbar, welches einem längst entrückt zu sein schien (trotz guter Aufführungsstatistik). Selbst die große Maria Callas (an welche man zwangsläufig denkt) würde mit ihrer früher gültigen Deutung heute noch in Gänze überzeugen können. Erfreulich, dass trotz einiger Negativreaktionen die Zustimmung des Premierenpublikums überwog.

Im Kölner Provisorium „Staatenhaus“ sitzt das Gürzenich-Orchester wieder einmal seitlich, stört also nicht den Blick auf die Bühne, welche aufgrund der äußerst tief gelagerten vorderen Spielfläche ohnehin für viele Zuschauer schwer einsehbar ist, wie in Gesprächen zu hören war. Aber mit solchen oder anderen Störfaktoren wird auch künftig zu rechnen sein, bis – wann auch immer – die Sanierung des Opernhauses am Offenbach-Platz ihr Ende gefunden hat.

Am Dirigentenpult: Eun Sun Kim. Dass das Orchester durch die Sitzordnung etwas wattig klingt, ist der Musik durchaus nicht abträglich, bleibt ihr auf diese Weise doch ein romantisches Sfumato erhalten. Die Dirigentin liebt gleichwohl die leidenschaftliche Geste. So driftet Donizetti nicht zu blässlichem Schöngesang ab, sondern bleibt dramatischem Ausdruck verpflichtet. In der Wahnsinnsszene wird übrigens die original vorgeschriebene Glasharmonika verwendet. Voller Einsatz des Chores (Sierd Quarré).

Auf den anfangs bereits erwähnten Atalla Ayan ist zurückzukommen. In der Tat ein Ausnahmetenor mit angenehm weichem, schmiegsamem Timbre, welches auch in der Höhen voll erhalten bleibt (minimale Anstrengungen nicht weiter beachtet). Dynamisch wäre die Partie des Edgardo freilich ein wenig differenzierter vorstellbar. Die rassig schlanke Olesya Golovneva, in Köln mit so unterschiedlichen Partien wie Konstanze, Vitellia, Anna Bolena oder Tatjana erlebt, kommt von der Koloratur her, scheint diesem Fach aber langsam zu entwachsen, wie ihr Lucia-Debüt zeigt. Sie beherrscht den Ziergesang noch immer, aber nicht mehr ganz mühelos und muss kleinere „Anpassungen“ vornehmen. Stärke dieser vielseitigen Sängerin ist die Bandbreite des Ausdrucks, welcher Hand in Hand geht mit enormer Bühnenpräsenz, Schicksal spüren lässt und die Emotionsfähigkeit des Publikums unmittelbar anrührt. Als Enrico bietet Boaz Daniel seinen vollsaftig maskulinen, kantablen Bariton auf, welcher sich bereits bei der Doppelrolle Amfortas/Klingsor bewährte. Der feste Bass des jungen Schweden Henning von Schulman gefällt in der Rolle des Raimondo, Judith Thielsen gibt die um Lucia fürsorglich bemühte Alisa. Ralf Rachbauer ist der schmierige Normanno, welcher als „Alt-Nazi“ gefährlich aus einer noch nicht bewältigten Vergangenheit in ein noch nicht gesichertes Heute hineinragt.