Musik des Leidens
Auch wer mit der Musik Leos Janáceks vertraut ist, mochte an diesem Abend so etwas wie eine Offenbarung erleben. Klänge von solch Suggestivkraft und Herzblut-Intensität werfen den Zuhörer einfach aus der Bahn. Dass in Katja Kabanowa die Beziehung des Komponisten zu Kamila Stösslová einen Niederschlag gefunden hat, dürfte damit zusammenhängen. „Es war für mich nötig, eine große, grenzenlose Liebe bei der Komposition dieser Oper zu kennen. Ihr (Kamilas) Bild legte ich immer wieder auf die Kát’a Kabanova“, als ich sie komponierte“, so Janácek. Dass die Wirkung in Mönchengladbach so tief ist, dankt sich aber auch dem estnischen GMD Mihkel Kütson, welcher die Musik mit den am Premierenabend besonders hinreißenden Niederrheinischen Sinfonikern auf höchst überzeugende Weise „sprechen“ ließ. Es entstanden geradezu magische Augenblicke.
Und dann gibt es auch noch Izabela Matula. Von der polnischen Sopranistin sind viele ihrer seit 2012 an diesem Haus verkörperten Partien noch in bester Erinnerung. Die Katja besitzt eine nochmals gesteigerte Intensität des Singens, wobei die sichere, leuchtende Höhe besonders nachhaltig beeindruckt. Fast möchte man für diese Wirkung Brünnhildes „Heil dir, Sonne, Heil dir, Licht“ zitieren. Izabela Matulas Gesang wirkt freilich nie selbstzweckhaft, sondern macht auf beklemmende, erschütternde Weise das Schicksal einer Frau erlebbar, welche vergeblich Lebensglück und echte Liebe sucht, doch zuletzt keinen anderen Ausweg sieht als den Freitod. „Wovon wir träumen, ist Teil der Realität, in der wir leben“, signalisiert zu Beginn eine Projektion auf dem Vorhang.
Es wird in der Originalsprache gesungen – Kompliment für die (lohnenswerte) Anstrengung. Auch wenn man als Zuhörer des Tschechischen nicht mächtig ist, meint man doch die Tiefenwirkung von Janáceks besonderer Sprachmelodik erkennen zu können. Die Aufführung von Smetanas Verkaufter Braut vor kurzem im nahen Aachen machte selbst bei diesem eher heiteren und musikalisch auch anders konzipierten Werk die Nachteile einer Eindeutschung deutlich. Wie authentisch die Aussprache der Sänger in Mönchengladbach ist, lässt sich natürlich nicht dingfest machen, aber der Wortklang stimmt eindeutig.
Helen Malkowsky, einst Oberspielleiterin in Nürnberg, dann Operndirektorin in Bielefeld und jetzt Hausregisseurin in Chemnitz, hat in Krefeld/Mönchengladbach bereits Tschaikowskys Mazeppa und Verdis Stiffelio inszeniert, beides anspruchsvolle Produktionen. Katja Kabanowa besitzt eine besondere Aura. Fotos im Programmheft suggerieren eine realistische Konzeption, doch bietet die Ausstattung von Kathrin-Susann Brose dann doch eher Andeutungen. Das Haus der Kaufmannswitwe Kabanicha wird mal mit seiner Außenfront, mal mit seinen Interieurs gezeigt. Auf der Drehbühne zerteilen sich die Aufbauten immer wieder, gestalten sich zu fast schon irrealen Räumen. Auch die handelnden Personen sind nicht immer realistisch greifbar. Der Chor agiert beispielsweise als fast schon alptraumhaftes Anklagekollektiv, Kuligin (ganz hervorragend: Shinyoung Yeo aus dem Opernstudio) macht, obwohl eine Nebenfigur, mit fast apokalyptischem Gebaren als Mahnfigur immer wieder auf sich aufmerksam, legt zuletzt der an ihrer „Untreue“ fast erstickenden Katja ein Seil um den Hals. Sie wird den Tod in den Wassern der Wolga suchen, welche schon zuvor immer wieder als dezent bewegte Projektion erscheint. Man erlebt keinen spektakulären Tosca-Sprung in den Fluss, Katja verschwindet einfach in der Menschenmenge, welche sie zuletzt ganz verdeckt, praktisch aufsaugt. Helen Malkowkys Inszenierung weitet sich also immer wieder ins Irreale, bietet visionäre Aspekte.
Die Kabanicha gehörte zum späten Rollenrepertoire einer Leonie Rysanek oder auch Astrid Varnay. Doch nicht nur bei Erinnerung an solche Sängerpersönlichkeiten gerät das Porträt von Satik Tumyan etwas kleinformatig und bieder, besitzt vokal nicht die angemessene Power. Auch der Dikoj wäre in summa vitaler zu wünschen als wie von Hayk Dèinyan gegeben. Dafür umreißt Kairschan Scholdybajew das Muttersöhnchen Tichon ganz großartig, gibt Michael Siemon den von Katja geliebten Boris tenoral stimmig und sehr sympathisch. Die schlanke, hochgewachsene Eva Maria Günschmann verkörpert Katjas Freundin Barbara in jeder Hinsicht ideal, ihr Freund Wanja ist bei Markus Heinrich sehr gut aufgehoben.
Ein animierender Spielzeitausklang im Theater Mönchengladbach. Die Premierenbegeisterung sollte sich herumsprechen und die Besucherauslastung der kommenden Vorstellungen steigern helfen.