Übrigens …

Don Carlo im Bielefeld, Stadttheater

Show-Room der Emotionen

Wolf Gutjahr baut eine Konstruktion mit Treppen an den Seiten auf die Drehbühne des Bielefelder Theaters. Sonst eine leerer, schwarzer Raum mit Stufen. Ein Kinosaal? Gegenüberliegend ein Club mit dem Namen „Rex“ – ein Cabaret, ein „Amüsierlokal“ vielleicht.

Auf jeden Fall viele Möglichkeiten für Auftritte und Abgänge für das Personal. Jochen Biganzoli versammelt in dieser Bühnenkonstruktion die Figuren aus Verdis Don Carlo: Da ist der Titelheld, den Kostümbildnerin Heike Neugebauer mit Base-Cap und modischem Leder-Blouson ausstattet. Ein postpubertierender Pennäler, der seine Geliebte aufgeregt und schüchtern mit einem Rosenstrauß im nächtlichen Park erwartet. Einer der sich nach Vorbildern sehnt, So eines ist für ihn sein Freund Rodrigo – etwas älter (ein Student vielleicht). Der hat Ideale, aber ist zugleich auch erfahren im politischen Ränkespiel. Er will ran ans Zentrum der Macht – den Vater seines prinzlichen Freundes.

Der ist König und ein einsamer Mann, der sein Reich im schlecht sitzenden Anzug eines mittleren Beamten verwaltet. Er sucht Nähe, so sehr, dass er es auf eine riskante Liebesnacht mit Rodrigo ankommen lässt. Bei seiner Königin findet er diese Nähe nicht, die ist nämlich rettungslos in seinen Sohn verliebt – und trotzdem ist sie ein wahres Unschuldslamm in Biganzolis Figurentableau, das ergänzt wird um die Prinzessin Eboli – ein Showgirl aus der Truppe des „Rex“, das sich sein Stück vom Kuchen des Lebens abschneiden will. Sie möchte Liebe und Spaß.

Beobachtet aber und letztlich gelenkt werden alle von der Inquisition. Wunderbar gleich zu Beginn mit einem Live-Video verdeutlicht. Ein Kameramann (Maximilian Hülshoff) lässt den Kopf des Großinquisitors aus einer Weltkugel entstehen.

Das sind ganz spannende Beobachtungen, die Biganzoli anstellt. Allein sie wollen sich in Bielefeld nicht zu einem großen Ganzen runden. Unklar bleibt eigentlich bis zum Schluss die Funktion des Bühnenbildes - unscharf in vielen Fällen auch psychologische Spannungsfelder der Figuren untereinander vor dem Hintergrund der von Biganzoli gesetzten Prämissen. Eine Chance hat der Regisseur vielleicht in der großen Autodafé-Szene vertan. Da sehen wir auf der Bühne nur den beobachtenden Chor, der in den Zuschauerraum blickt, während unsichtbar auf dem Rang gesungen wird. Hier wäre die Möglichkeit gewesen, die Handlungsmotivation der Figuren zu verdeutlichen, da alle Akteure anwesend sind. Rein vokal wird davon nicht viel transportiert. Außerdem wird visuelle Langeweile befördert, denn der Chor bewegt sich eher gleichförmig.

Szenisch bleibt dieser Don Carlos eher indifferent. Musikalische Glanzpunkte setzen Sebastian Pilgrim als König Filippo, dessen Bass alle Spielarten vom brutalen Machtmenschen bis zum verletzlichen, einsamen Mann beglaubigt. Und Sarah Kuffner als Elisabetta. Wie fein ihr Sopran Liebe, Verletzlichkeit und Verzicht verströmt. Das ist berückend. Kuffners Stimme hat in den Jahren am Theater Bielefeld eine unglaubliche Entwicklung durchgemacht.

Evgueniy Alexiev ist stimmlich angeschlagen. Dennoch zeugt sein Marquis Posa von ungeheurer Beweglichkeit und Kultiviertheit. Daniel Pataky verfügt über viel Kraft für den Don Carlo und Katja Starke legt die Eboli wie von der Regie gefordert an: als Revue-Girl – energisch und laut.

Hagen Enkes Chöre sekundieren sehr gekonnt, während Alexander Kalajdzic und die Bielefelder Philharmoniker bisweilen Sinnenfreude und Herzblut vermissen lassen, die trotz Inquisitionsherrschaft bei Verdi immer wieder aufschäumt. Das Publikum goutiert die Premiere mit viel Applaus.