Ravel-Zaubereien
Ravels Bühneneinakter L’heure espagnole (Die Spanische Stunde) und L’Enfant et les Sortilèges (Das Kind und der Zauberspuk) an einem Abend zusammenzufassen, ist eine naheliegende Idee, doch wird sie relativ selten realisiert. Dabei ist der Kontrast reizvoll. Da ist zum einen die gewissermaßen mechanisch abschnurrende Typenkomödie um eine sexuell unbefriedigte Uhrmachersfrau, die erst bei einem muskelbepackten Mann auf ihre Kosten kommt, welcher ihr zunächst allerdings unattraktiv erscheint. Zum anderen ist da die „lyrische Phantasie“ um ein aufmüpfiges Kind, welches später durch Mitleid und Hilfsbereitschaft die von ihr geschundene und feindselig gewordene Natur für sich einnimmt. Der Komponist überrascht in seiner Musik mit unterschiedlichen Erzählstilen.
Spanische Stunde spielt komödiantisch mit den heterogenen Charakteren der Protagonisten. Große Gefühlsregungen gibt es nicht. Emotionen stellen sich gerade mal ironisch ein, wenn etwa der Möchtegern-Dichter Gonzalvo sich mit hypertrophen Wortkaskaden und himmelhoch jauchzenden Kantilenen in abgehobenen Schwärmereien ergeht. L’amour ansonsten: nach den Zeigern der Uhren organisiert.
Zwei von ihnen bestimmen die Ausstattung von Nele Ellegiers besonders. Sie werden von dem starken Ramiro gemäß Wunsch von Conceptión, der Frau des Uhrmachers Torquemada, immer wieder ins Schlafzimmer hinein und dann wieder herausgetragen, damit er von ihrem erhofften Schäferstündchen mit Gonzalvo abgelenkt wird. Darüber hinaus bedeckt eine Riesenuhr den Bühnenboden, an welcher sich Torquemada mit überdimensionalem Werkzeug zu schaffen macht. Dirigent Francois-Xavier Roth setzt - hübscher, sinnfälliger Auftakt - bei seinem Gang an das Pult des Gürzenich-Orchesters etliche Metronome in Gang, deren Ticken sich irgendwann per Automatik verliert. Das Geräusch wirkt gewissermaßen nach, sowohl in der von Roth knackig servierten Musik als auch in der virtuos choreografierten, freilich auch etwas trockenen Inszenierung von Béatrice Lachaussée (die sich vor knapp anderthalb Jahren mit einem anderen Doppelabend, nämlich Leos Janaceks Tagebuch eines Verschollenen und Gustav Holsts Savitri, im Kolumba-Museum eindrucksvoll vorgestellt hatte). Die Regisseurin geizt zwar nicht mit typengenauem Witz, doch schäumt dieser nur dosiert. Dem Finalensemble fehlt es etwas an Show-Glamour.
Dabei sind alle Partien vital besetzt. John Heuzenroeder ist ein gefühlssturer, zuletzt aber auch schlitzohriger Torquemada mit charakteristischem Tenor, Julien Behr ergeht sich herrlich schmachtend in Gonzalvos belkantesken Höhenflügen, Tomislav Lavoie ist stimmlich, freilich nicht körperlich ein profunder Gomez (der ja gemäß Libretto mit seinem dicken Bauch in einer Uhr stecken bleiben soll), zutreffend gibt Thomas Dolié den zunächst drögen, dann aber aufblühenden Muskelmann Ramiro. Katrin Wundsam, derzeit auch als Ascanio in Benvenuto Cellini und in Bälde wieder als Georg Kreislers Lola Blau aktiv, becirct mit Reizen jedweder Art. Sie trägt ein schwarz-rotes Flattergewand von Nele Ellegiers, die sich mit ihren Kostümen bei L’Enfant et les Sortilèges dann noch stärker „austoben“ darf. Für die Bühnenausstattung reicht unter diesen Umständen das überdimensionale Tintenfass, an welchem sich das Kind mit einer ebenso überdimensionalen Schreibfeder abquält. Der Boden ist mit Matten bedeckt. Das Loch darunter ermöglicht überraschendes Erscheinen und Verschwinden.
Béatrice Lachaussée inszeniert das sich albtraumhaft zuspitzende Geschehen fantasievoll sprudelnd, die Sänger (Mehrfachrollen) dürfen sich in lustigen Gestikulationen und Verrenkungen ergehen, wobei John Heuzenroeder als Laubfrosch eine akrobatische Meisterleistung vollbringt. Dongmin Lee zwitschert die schwindelerregenden Koloraturen des Feuers mit seraphischer Leichtigkeit. Das skurrile Restensemble: Judith Thielsen, Tomislav Lavoie und Thomas Dolié, dann noch Maria Isabel Segarra, Sara Jo Benoot und Maria Kublashvili aus dem Opernstudio sowie der Opernchor und Kinder des Kölner Domchores. Regina Richter demonstriert als Kind wieder einmal ausgiebig, dass Singen und Spielen bei ihr immer eine untrennbare Einheit bilden. Francois-Xavier Roth lässt die jetzt weichere Musik Ravels leuchten und schimmern, aber auch angemessene Purzelbäume schlagen, mit einem Gürzenich-Orchester voll auf Touren.