Einakter-Abend mit etwas Schatten und viel Licht
Einen Einakter-Abend zu konzipieren, ist reizvoll, aber nicht ganz leicht. Soll man Stücke der gleichen Entstehungszeit wählen, auf Stoffkontrast setzen oder Handlungsparallelen betonen? Puccini hat bei Il Trittico ein authentisches Konzept freilich bereits vorgegeben. Der “Stein des Anstoßes“ dabei ist allerdings immer wieder das Mittelstück Suor Angelica, eine kitschgefährdete Oper, dazu wirkungsbeengt nur mit Frauenstimmen besetzt. Schwer in den Griff zu bekommen. Nach Meinung des Rezensenten ist dies Christine Mielitz 2010 in Dortmund indes exemplarisch gelungen. Es geht also. Die Düsseldorfer Rheinopern-Produktion von Dietrich Hilsdorf 2003 wurde nicht gesehen.
Für das Gemeinschaftstheater Krefeld/Mönchengladbach, welches jetzt Schicchi mit Cavalleria kombinierte, kam Il Trittico nicht mehr infrage, wurde doch Suor Angelica 2011 doch schon mit Le Villi zusammengespannt. Als Zweiteiler hätte sich Schicchi mit Tabarro angeboten, wie anderswo häufiger geschehen. Aber man dachte ehrgeiziger. Von der Dramaturgin des Hauses scheint die Idee freilich nicht ausgegangen zu sein, sonst hätte sie sich im Programmheft geäußert. Vielleicht gab es eine Empfehlung von Opernintendant Andreas Wendholz, welcher 2011 noch als Dramaturg wirkte.
Die Frage ist so oder so: überzeugendes Konzept – ja oder nein? Blutiges Verismodrama, gefolgt von einer als Satyrspiel zu verstehender Musikkomödie, das kann man als locker gefügtes Konstrukt unschwer akzeptieren. Karine Van Hercke stellt im Programmheft indes Überlegungen an und Beziehungen her, dass einem als Leser der Kopf nur so raucht. All ihre Querverweise (komprimiert nicht angemessen darstellbar) mögen für sich genommen zwar stimmig sein, bieten für die beiden Opern jedoch kaum ein wirklich vertiefendes Verständnis. Dass Turiddu als „glühender Verfechter der neu aufkeimenden faschistischen Bewegung“ und Alfio als Kommunist gesehen wird, akzentuiert Mascagnis Cavalleria rusticana bestenfalls beiläufig. Dass Puccinis Buoso Donati als erpresserischer Verwandter von Mamma Lucia zu Geld kam und in Gianni Schicchi ein erkleckliches Erbe hinterlässt, schließt nicht wirklich eine Informationslücke und stellt auch keine zwingende Handlungsbrücke dar. Die konstruierte Generationenabfolge (Schicchi spielt 35 Jahre nach Cavalleria) nimmt man ebenso zur Kenntnis wie familiäre Neuorientierungen (Lucia und Turiddu Donati, Alfio und Lola Schicchi in Cavalleria), ohne daraus wirklich Gewinn ziehen zu können.
Eindrucksvoll prägt sich bei Cavalleria zunächst einmal das komplett schwarze Bühnenbild von Siegfried E. Mayer ein: hohe Rückwand mit hell erleuchteter Marienstatue als Blickfang, davor auf Stühlen sitzend die müden Männer des Dorfes, welche – wie ihre Frauen auch – an nichts anderem mehr festklammern können als an religiösen Ritualen. Vergreist sind sie alle und tapsen herum, als seien sie gleichzeitig mit Parkinson und Demenz geschlagen. Im Libretto heißt es allerdings an einer Stelle „Ihr Schönen“. Freilich: auch eine jüngere Gemeinschaft kann bigott sein und würde eine entehrte“ Santuzza ebenfalls aus ihren Reihen verstoßen (Osterchor mit riesiger Bänderkrone). In dem Film Alexis Sorbas (er war kürzlich im deutschen Fernsehen wieder mal zu sehen) wird das beispielsweise auf besonders niederschmetternde Weise gezeigt. Der Auftritt eines kinderhaften Engelchens zu Beginn und beim „Intermezzo sinfonico“ und andere figurale Erinnerungskonstellationen prägen die assoziativ durchsetzte Inszenierung von Francois De Carpentries Immer wieder.
Allerdings sorgt der Regisseur auch für zwischenmenschliche Hinweise. Sie werten beispielsweise den sonst meist einseitig als Hallodri gezeichneten Turiddu auf. Auch wenn er Santuzza immer wieder, sich mit Wein Mut antrinkend, entwürdigend behandelt, ist die alte Zuneigung doch nicht ganz verschwunden, und das zu erwartende Kind lässt ihn sogar regelrecht fürsorglich reagieren. Diesen etwas zerlumpten Charakter macht Michael Wade Lee, mit fester Strahlkraft singend, ausgesprochen glaubhaft.
Janet Bartolova ist (in der gesehenen Zweitaufführung) eine vokal weitgehend standfeste Santuzza (Eva-Maria Günschmann war in der Premiere zu erleben) und spielt ihre Partie mit starker dramatischer Präsenz. Die Bulgarin ist langjähriges Ensemblemitglied des Gemeinschaftstheaters Krefeld/Mönchengladbach (seit 1994/95) und war vor einigen Jahren so frei, sowohl Norma als auch Adalgisa in einer Produktion der Bellini-Oper zu gestalten. Besondere Sympathien gelten stets (es darf auf Schicchi vorgegriffen werden) Debra Hays. Mittlerweile ist sie mit 25 Jahren noch länger als ihre Kollegin am Haus und nach wie vor eine voll präsente und theaterblütig pulsierende Sängerdarstellerin, jetzt als Nella. Von den Cavalleria-Sängern ist noch Izabela Matula nachzutragen, diesmal eine laszive Lola sowie als wackere Lucia Satik Tumyan, die mit ihren Registerbrüchen später bei der Zita besser durchkommt, Johannes Schwärsky gibt mit natürlicher Männlichkeit und baritonal ausladend den „Händler“ Alfio, welcher von Buosi Donati am Schluss erstochen wird. Der von Maria Benyumova einstudierte Chor singt und agiert (zitternd, wie vorgeschrieben) ausgesprochen eindrucksvoll.
Als Schicchi steht Schwärsky dann sozusagen von den Toten wieder auf und schließt im Finale den ebenfalls ins Leben zurück kehrenden Buosi Donati in die Arme. Was der stumm agierende Tobias Forstreuter zuvor an drastischer Agonie bietet und als Leiche durch die Szene gewirbelt wird, gehört zu den wahrhaft lachtreibenden Szenen in Carpentiers putzmunterer Inszenierung
Der Bühnenboden ist jetzt bunt gestreift, die verbliebenen Wände sind kitschig tapeziert; ein Riesenbild zeigt das blühende Florenz. Wird man bei Carpentiers Cavalleria-Arbeit nicht so ganz glücklich, kann man sich über seine lustvolle und auf eine burleske Spitze getriebene Puccini-Regie nur unbändig vergnügen. Unter seiner Anleitung werden Sänger zu Komödianten wie noch nie zuvor erlebt. So gibt Hayk Dèinyan auf gloriose Weise einen alterstrotteligen Simone, den er bis in den Schlussapplaus hinein spielen darf. Kairschan Scholdybajew hatte, wenn die Erinnerung nicht täuscht, bislang noch nie Gelegenheit, eine so wilde Hummel wie den Krefelder Gherardo zu spielen; er macht das köstlich. Besonderes Lob auch für Gabriela Kuhn (Ciesca), Matthias Wippich (Betto),und Rafael Bruck (Marco). Selbst die Kleinstpartien sind ausgesprochen typenwitzig besetzt: Dae Jin Kim (Spineloccio), Bondo Gogia (Amantio), Yasuyuki Toki (Pinellino) und Bernhard Schmitt (Guccio).
Michael Siemon (Rinuccio) ist mit seinem feschen Tenor ein feuriger Langhaar-Lover, und Sophie Wittes Lauretta erfreut mit luxuriösem Sopran und Modelfigur. Nach ihrem „O mio babbino caro“ erfreulicherweise (!) mal kein störender Zwischenbeifall. Johannes Schwärsky zeigt sich in der Titelrolle stimmlich und komödiantisch raumfüllend. Mihkel Kütson realisiert mit den Niederrheinischen Sinfonikern Mascagnis Verismo-Schmelz und –glut ebenso überzeugend wie Puccinis rabiaten Komödienton. Für den Schicchidrei Sterne!
Einen Einakter-Abend zu konzipieren, ist reizvoll, aber nicht ganz leicht. Soll man Stücke der gleichen Entstehungszeit wählen, auf Stoffkontrast setzen oder Handlungsparallelen betonen? Puccini hat bei Il Trittico ein authentisches Konzept freilich bereits vorgegeben. Der “Stein des Anstoßes“ dabei ist allerdings immer wieder das Mittelstück Suor Angelica, eine kitschgefährdete Oper, dazu wirkungsbeengt nur mit Frauenstimmen besetzt. Schwer in den Griff zu bekommen. Nach Meinung des Rezensenten ist dies Christine Mielitz 2010 in Dortmund indes exemplarisch gelungen. Es geht also. Die Düsseldorfer Rheinopern-Produktion von Dietrich Hilsdorf 2003 wurde nicht gesehen.
Für das Gemeinschaftstheater Krefeld/Mönchengladbach, welches jetzt Schicchi mit Cavalleria kombinierte, kam Il Trittico nicht mehr infrage, wurde doch Suor Angelica 2011 doch schon mit Le Villi zusammengespannt. Als Zweiteiler hätte sich Schicchi mit Tabarro angeboten, wie anderswo häufiger geschehen. Aber man dachte ehrgeiziger. Von der Dramaturgin des Hauses scheint die Idee freilich nicht ausgegangen zu sein, sonst hätte sie sich im Programmheft geäußert. Vielleicht gab es eine Empfehlung von Opernintendant Andreas Wendholz, welcher 2011 noch als Dramaturg wirkte.
Die Frage ist so oder so: überzeugendes Konzept – ja oder nein? Blutiges Verismodrama, gefolgt von einer als Satyrspiel zu verstehender Musikkomödie, das kann man als locker gefügtes Konstrukt unschwer akzeptieren. Karine Van Hercke stellt im Programmheft indes Überlegungen an und Beziehungen her, dass einem als Leser der Kopf nur so raucht. All ihre Querverweise (komprimiert nicht angemessen darstellbar) mögen für sich genommen zwar stimmig sein, bieten für die beiden Opern jedoch kaum ein wirklich vertiefendes Verständnis. Dass Turiddu als „glühender Verfechter der neu aufkeimenden faschistischen Bewegung“ und Alfio als Kommunist gesehen wird, akzentuiert Mascagnis Cavalleria rusticana bestenfalls beiläufig. Dass Puccinis Buoso Donati als erpresserischer Verwandter von Mamma Lucia zu Geld kam und in Gianni Schicchi ein erkleckliches Erbe hinterlässt, schließt nicht wirklich eine Informationslücke und stellt auch keine zwingende Handlungsbrücke dar. Die konstruierte Generationenabfolge (Schicchi spielt 35 Jahre nach Cavalleria) nimmt man ebenso zur Kenntnis wie familiäre Neuorientierungen (Lucia und Turiddu Donati, Alfio und Lola Schicchi in Cavalleria), ohne daraus wirklich Gewinn ziehen zu können.
Eindrucksvoll prägt sich bei Cavalleria zunächst einmal das komplett schwarze Bühnenbild von Siegfried E. Mayer ein: hohe Rückwand mit hell erleuchteter Marienstatue als Blickfang, davor auf Stühlen sitzend die müden Männer des Dorfes, welche – wie ihre Frauen auch – an nichts anderem mehr festklammern können als an religiösen Ritualen. Vergreist sind sie alle und tapsen herum, als seien sie gleichzeitig mit Parkinson und Demenz geschlagen. Im Libretto heißt es allerdings an einer Stelle „Ihr Schönen“. Freilich: auch eine jüngere Gemeinschaft kann bigott sein und würde eine entehrte“ Santuzza ebenfalls aus ihren Reihen verstoßen (Osterchor mit riesiger Bänderkrone). In dem Film Alexis Sorbas (er war kürzlich im deutschen Fernsehen wieder mal zu sehen) wird das beispielsweise auf besonders niederschmetternde Weise gezeigt. Der Auftritt eines kinderhaften Engelchens zu Beginn und beim „Intermezzo sinfonico“ und andere figurale Erinnerungskonstellationen prägen die assoziativ durchsetzte Inszenierung von Francois De Carpentries Immer wieder.
Allerdings sorgt der Regisseur auch für zwischenmenschliche Hinweise. Sie werten beispielsweise den sonst meist einseitig als Hallodri gezeichneten Turiddu auf. Auch wenn er Santuzza immer wieder, sich mit Wein Mut antrinkend, entwürdigend behandelt, ist die alte Zuneigung doch nicht ganz verschwunden, und das zu erwartende Kind lässt ihn sogar regelrecht fürsorglich reagieren. Diesen etwas zerlumpten Charakter macht Michael Wade Lee, mit fester Strahlkraft singend, ausgesprochen glaubhaft.
Janet Bartolova ist (in der gesehenen Zweitaufführung) eine vokal weitgehend standfeste Santuzza (Eva-Maria Günschmann war in der Premiere zu erleben) und spielt ihre Partie mit starker dramatischer Präsenz. Die Bulgarin ist langjähriges Ensemblemitglied des Gemeinschaftstheaters Krefeld/Mönchengladbach (seit 1994/95) und war vor einigen Jahren so frei, sowohl Norma als auch Adalgisa in einer Produktion der Bellini-Oper zu gestalten. Besondere Sympathien gelten stets (es darf auf Schicchi vorgegriffen werden) Debra Hays. Mittlerweile ist sie mit 25 Jahren noch länger als ihre Kollegin am Haus und nach wie vor eine voll präsente und theaterblütig pulsierende Sängerdarstellerin, jetzt als Nella. Von den Cavalleria-Sängern ist noch Izabela Matula nachzutragen, diesmal eine laszive Lola sowie als wackere Lucia Satik Tumyan, die mit ihren Registerbrüchen später bei der Zita besser durchkommt, Johannes Schwärsky gibt mit natürlicher Männlichkeit und baritonal ausladend den „Händler“ Alfio, welcher von Buosi Donati am Schluss erstochen wird. Der von Maria Benyumova einstudierte Chor singt und agiert (zitternd, wie vorgeschrieben) ausgesprochen eindrucksvoll.
Als Schicchi steht Schwärsky dann sozusagen von den Toten wieder auf und schließt im Finale den ebenfalls ins Leben zurück kehrenden Buosi Donati in die Arme. Was der stumm agierende Tobias Forstreuter zuvor an drastischer Agonie bietet und als Leiche durch die Szene gewirbelt wird, gehört zu den wahrhaft lachtreibenden Szenen in Carpentiers putzmunterer Inszenierung
Der Bühnenboden ist jetzt bunt gestreift, die verbliebenen Wände sind kitschig tapeziert; ein Riesenbild zeigt das blühende Florenz. Wird man bei Carpentiers Cavalleria-Arbeit nicht so ganz glücklich, kann man sich über seine lustvolle und auf eine burleske Spitze getriebene Puccini-Regie nur unbändig vergnügen. Unter seiner Anleitung werden Sänger zu Komödianten wie noch nie zuvor erlebt. So gibt Hayk Dèinyan auf gloriose Weise einen alterstrotteligen Simone, den er bis in den Schlussapplaus hinein spielen darf. Kairschan Scholdybajew hatte, wenn die Erinnerung nicht täuscht, bislang noch nie Gelegenheit, eine so wilde Hummel wie den Krefelder Gherardo zu spielen; er macht das köstlich. Besonderes Lob auch für Gabriela Kuhn (Ciesca), Matthias Wippich (Betto),und Rafael Bruck (Marco). Selbst die Kleinstpartien sind ausgesprochen typenwitzig besetzt: Dae Jin Kim (Spineloccio), Bondo Gogia (Amantio), Yasuyuki Toki (Pinellino) und Bernhard Schmitt (Guccio).
Michael Siemon (Rinuccio) ist mit seinem feschen Tenor ein feuriger Langhaar-Lover, und Sophie Wittes Lauretta erfreut mit luxuriösem Sopran und Modelfigur. Nach ihrem „O mio babbino caro“ erfreulicherweise (!) mal kein störender Zwischenbeifall. Johannes Schwärsky zeigt sich in der Titelrolle stimmlich und komödiantisch raumfüllend. Mihkel Kütson realisiert mit den Niederrheinischen Sinfonikern Mascagnis Verismo-Schmelz und –glut ebenso überzeugend wie Puccinis rabiaten Komödienton. Für den Schicchi drei Sterne!