Publikumsvergnügen garantiert
Zirzensischer Wirbel beginnt bereits im Foyer. Das Publikum wird von kostümierten Choristen mit heiterer Ausgelassenheit empfangen (unter ihnen auch solche, die später kleinere Solopartien übernehmen). „Alles ist Spaß auf Erden“ scheint man mit Verdis Falstaff signalisieren zu wollen. In der Tat gilt dieser Satz auch für Prokofjews Liebe zu den drei Orangen, selbst wenn der Komponist sein Werk nicht ausdrücklich mit „opera buffa“ untertitelte. Gemeinsam mit dem Stofflieferanten Carlo Gozzi, an dessen originalem Märchenspiel unter anderem auch der russische Regisseur Wsewolod Meyerhold Hand anlegte, opponierte Prokofjew gegen das „akademische“ Theater und setzte auf Resonanz auch und besonders beim einfachen, vergnügungswilligen Publikum. Romantisch übersteigerte Gefühlsäußerungen hatten damit ausgedient, jetzt galt das Prinzip einer (intelligenten) Verlustierung.
Darauf ist Prokofjew später nicht noch einmal zurück gekommen, ungeachtet von Verlobung im Kloster, welche allerdings als „lyrisch-komisch“ klassifiziert ist. Auf diese Oper sollten die Theater übrigens auch einmal ihr Augenwerk richten. Lyrisches bleibt in Liebe zu den drei Orangen ausgeblendet, von einigen ironisierenden Momenten abgesehen. Es gibt keine definitiv melodisch geprägten Nummern, sondern lediglich Parlando-Szenen in kurzer Abfolge, immer wieder versetzt mit humoristischen Keulenschlägen.
Die „Orangen“-Oper ist zu Teilen auch ein Diskurs über das Theater, was die deutsche Textfassung von Werner Hintze unterstreicht. Insofern erscheint es legitim, dass Regisseur Sebastian Welker (Jahrgang 1983, gelernt hat er unter anderem bei Willy Decker) den Publikumsstreit des Prologs (heitere oder tragische Bühne?) in die eigentlichen Handlungsakte hinein ausdehnt. Die von überdimensionalen Buchstaben geprägte Bühne sowie die von optischer Fantasie nur so überbordenden Kostüme machen dieses Konzept von Anfang an sinnfällig. Hier gibt es beispielsweise eine aus dem Geschehen herausgehobene „Chorprobe“ unter dem realen Chorleiter Markus Baisch, dort simuliert ein Ventilator den Wind, welcher den Prinzen und seinen Begleiter Truffaldino zur Köchin ins Reich Kreonta bläst. Die zauberischen Wesen Fata Morgana und Tschelio sind bei Welker Sängerinnen, die sich – aufeinander eifersüchtig - um ein Theaterengagement bemühen. Dass Tschelio in der Wuppertaler Inszenierung eine Frau ist, hat mit der ungewöhnlichen Besetzung der Partie mit der transidenten Lucia Lucas zu tun, welche aber noch über ihren (sonoren) Bariton aus Männertagen verfügt. Zuletzt war sie auch die Stadträtin Lindorf in Contes d’Hoffmann.
Das originale „happy end“ hätte sich in Welkers Konzept ohne weiteres gefügt, Welkers Finale ist jedoch ein geradezu rabenscharzes. Vor dem freudetobenden Hofstaat von Königs Treff (jetzt heißt er Kreuz König) senkt sich der Eiserne Vorhang, und der endlich lachfähig gewordene und liebesverwirrte Prinz bleibt verlassen auf der Vorderbühne zurück. Doch nicht alles Spaß auf Erden? Dieser Schluss steht isoliert im Raum, wirkt als überintellektuelles Ausrufezeichen. Ob da Jana Beckmann Einfluss nahm? Ihr Programmheftbeitrag ist ähnlich hochgestochen wie zuletzt jener zu Offenbach. Als die Dramaturgin 2013 klug und weise eine Produktion von Bohuslav Martinus Ariadne beim Jungen Forum Musik in Hamburg begleitete, war in einer Rezension von „arg sophisticated“ zu lesen. Doch soll dieser Hinweis mitnichten davon ablenken, dass die Wuppertaler Produktion enormen Unterhaltungswert besitzt und die Zuschauer der Premiere immer wieder zu spontanen Reaktionen animierte.
Das Bühnengeschehen der Prokofjew-Oper spart sicher nicht mit deftigen Akzenten, die Partitur gibt sich aber immer wieder auch filigran. Das hätte sich im Orchestergraben etwas stärker spiegeln dürfen. Der junge Erste Kapellmeister Johannes Pell, zuletzt in Bonn stark beschäftigt und jetzt auf eine Vanessa in Bremerhaven zusteuernd, sorgt wirkungsvoll für instrumentales Feuer. Ein wenig mehr Finessenhaftigkeit hätte freilich gut getan.
Die Wuppertaler Oper baut, wie schon einmal geschildert, unter Intendant Berthold Schneider das Ensemble neu auf, welches in den letzten beiden Jahren aus „Ersparnisgründen“ liquidiert worden war. Zusätzliche Künstler werden projektbezogen engagiert wie jetzt Vikrant Subramanian (überzeugend als Farfarello, Pantalone, Herold). Ralitsa Ralinova ist eine sopranklare Ninetta, Sebastian Campione leiht seinen markanten Bariton sowohl dem König als auch der Köchin, Simon Stricker gibt einen maskulinen Leander. Ihm zur Seite: die model-attraktive Catriona Morison als throngeile Clarice. Besonders hervorzuheben sind Chariklia Mavropoulou als pathetisch skandierende Fata Morgana, herrlich in ihrer Entsetzensstarre, nachdem sie von Truffaldino (vokal problematisch: Mark Bowman-Hester) mit gekochten Nudeln beworfen wurde. Ein tenoraler Strahlemann ist Sangmin Jeon als Prinz. Auf die nächsten Rollen dieses Sängers mit der höhenstarken Schmeichelstimme darf man sich schon jetzt freuen.
Zum Schluss wäre noch diese Frage zu stellen: was haben die beiden Jungen in einem Schutzlager für verfolgte Albinos, Tansania 2009 (Foto Programmheft), mit Prokofjews Oper zu tun? Das Saisonheft verspricht für die noch folgenden Produktionen Vergleichbares.