Macbeth im Aachen, Theater

Hinreißend: Titelrollensänger und Dirigent

 Dass die letzte Aachener Macbeth-Produktion nahezu 30 Jahre zurückliegt (Dirigent: Yoram David, Inszenierung: Woolf Seesemann, Sänger: Ruthild Engert, Eugene Holmes) muss nicht als Zeichen für eine begrenzte Hochschätzung des Werkes gelten, eher schon als Anzeichen für besonders Qualität, welche durch zu viele Aufführungen nicht verschlissen werden sollte. Nachdem man die neue Premiere in Aachen erlebt hat, ist freilich zu sagen, dass es geradezu eine Sünde gewesen wäre, Kazem Abdullah in seiner letzten Spielzeit nicht mit diesem anspruchsvollen und dramatisch hochlodernden Werk zu bertrauen.

Die Akustik des Aachener Hauses wirkt forte-fördernd. Dem Macbeth schadet das nicht. Es geht immerhin um Leben und Tod, um Liebe und Hass, um Macht, Sieg und Vernichtung - um alle menschliche Daseins-Konstanten also. Bei Verdi (bzw. beim Stofflieferanten Shakespeare) wird dies alles auf eine existenzielle Spitze getrieben.

Kazem Abdullah interpretiert mit seinem bestens disponierten Sinfonieorchester Aachen (auch der von Elena Pierini einstudierte, prachtvolle Chor sei schon gleich erwähnt) Verdis geniale Musik, als habe das Jüngste Gericht seinen

Blick auf diese Aufführung geworfen: akustisch geradezu niederschmetternde Blechbläser-Akkorde, Streicher-Konvulsionen, Schlagzeug-Taumel. Dazwischen aber immer wieder auch zart getönte Passagen.

Es ist auch euphorisch von einer überrumpelnden Sängerleistung zu berichten. Hrólfur Saemundsson, Bariton aus Island, gehört seit 2009 zum Aachener Ensemble, konnte in vielen unterschiedlichen Rollen erlebt werden. Herausgegriffen sei der schon etwas zurückliegende Pelléas, eine lyrisch Partie also. Als Macbeth wächst der Künstler förmlich über sich hinaus. Solch dramatische, doch stets belcantesk gesättigte Eruptivtöne hat man von ihm bislang nicht gehört: Auch darstellerisch scheint es bei dem Sänger nachgerade auf Leben und Tod zu gehen. Bewunderung, ganz große Bewunderung.

Nur das Außerordentliche dieser Rolleninterpretation entschuldigt, dass Sanja Radisic erst an zweiter Stelle genannt wird. Als genuiner Mezzo gehört sie zu den nicht wenigen tief gelagerten Sopranen, welche die Lady Macbeth sogar vorzugsweise interpretieren. Prominente Namen der Vergangenheit: Martha Mödl oder auch Astrid Varnay. Dann natürlich die tatsächlich als Mezzos klassifizierten Sängerinnen wie Christa Ludwig, Grace Bumbry, Shirley Verrett, alle freilich mit müheloser Höhe. Von der gloriosen Maria Callas ist erst gar nicht zu reden. Die Sanja Radisic offeriert zweimal souverän das gefürchtete hohe und meist ausgelassene hohe Des. Auch sonst bezwingt sie ihre horrend schwierige Partie mit Aplomb und Grandeur. Dass „schönes“ Singen bei der Lady alleine nicht ausreicht, hat bereits Verdi betont. Darstellerisch verkrallt sich Sanja Radisic in ihre Partie ebenso wie ihr Partner. Das intensive Bühnenspiel der beiden ist im Grunde erst der Nährboden für die Inszenierung von Tobias Heyder.

Bei ihr gibt es vor allem diesen roten Faden. Macbeth und die Lady divergieren im Charakter fraglos (sie ist fordernder, radikaler), aber die beiden entzweien sich darüber nie wirklich, allenfalls gibt es Momente der Irritation wie in der Bankett-Szene. Von Anfang bis zum Ende sind beide jedoch ein stark erotisch miteinander verbundenes Paar. Im Vorspiel sieht man sie gewissermaßen aus einer glücklichen Nacht erwachen, am Schluss schließt Macbeth seine tote Gemahlin verzweifelt in die Arme und stößt sich Macduffs Schwert selber in den Leib. Es sind weniger die Weissagungen, welche ihn zu Boden zwingen als der Verlust dieser Frau. Das treibt regelrecht Tränen in die Augen.

Auch die Kinderlosigkeit der Eheleute bewirkt (jenseits von Gedanken an Machtnachfolge) tragische Akzente. Wenn in der zweiten Hexen-Szene die drei Erscheinungen ihre Prophezeiungen abgeben, übersetzt das Heyder in eine Familienidylle mit der Lady als fürsorgender Mutter. In der Aachener Inszenierung spielt sich die Handlung überhaupt viel in der wunschintensiven Imagination der Protagonisten ab.

Aber es gibt natürlich auch die Gier nach Macht, welche Macbeth und die Lady (auf unterschiedliche Weise) nachhaltig und maßlos infiziert hat. Ein roter Mantel (aus Janine Werthmanns modernistisch nicht aufdringlicher Kostüm-Kollektion) ist immerwährendes Objekt der Begierde. Dies sogar bei Malcolm, welcher über der Leiche seines Vaters Duncan stehend das Kleidungsstück an sich rafft und auch am Schluss erkennen lässt, dass er als neuer Herrscher weniger des Volkes Wohl als sein eigenes Ego im Sinn hat. Man darf übrigens so gut wie sicher sein, dass bei einer der kommenden „Macbeth“-Inszenierungen, wo auch immer, die Figuren zu Hilary Clinton und Donald Trump in Beziehung gesetzt werden. In Aachen wurde man von solchen Verstiegenheiten allerdings verschont.

Nicht alles in Tobias Heyders Inszenierung überzeugt gleichermaßen. Es gibt einige unausgefüllte Standbilder (z.B. die Szene mit den schottischen Flüchtlingen). Andererseits ist bemerkenswert, dass Regieentscheidungen auch dort Überzeugungskraft entwickeln, wo sie nicht hundertprozentig deutbar sind oder Fragen nach ihrer Stichhaltigkeit aufwerfen. Aber es hat schon viel für sich, den Chor (weitgehend gleichbleibende schwarze Glitzerkostüme bei den Damen) sowohl als Hexen wie als Festgesellschaft oder Flüchtlinge auszugeben. Dass er in grellem Scheinwerferlicht mit Gesichtsmasken die Erscheinung des ermordeten Banquo simuliert, ist hinreißend. Einzig die Bühne von Christina Mrosek, eine metallische Wand mit diversen Türen, wirkt in ihrer optischen Neutralität kaum stimulierend.

Bei den weiteren Sängern wirkt Lukasz Konieczny (Gast) mit seinem wabernden, vibratolastigen Banquo-Bass wenig überzeugend, zumal neben dem vokal standfesten und intensiven Saemundsson. Alexey Sayapin gibt den Macduff zwar feurig, wird vom Malcolm des jungen Koreaners Soon-Wook Ka jedoch klar übertroffen. Seine schmiegsame und doch feste Tenorstimme war schon am Ende der letzten Spielzeit in der Hochschulproduktion von Ravels L’heure espagnole aufgefallen, Einige Comprimario-Partien sind aus den Reihen des Chores zufriedenstellend besetzt.

Gespielt wird im übrigen Verdis heute fast ausschließlich gebräuchliche Pariser Fassung der Oper von 1865, ohne Ballett natürlich. Aus der Urfassung von 1847 ist die (sehr wirkungsvolle) Todesszene von Macbeth interpoliert. Die Aachener Opernfreunde hat man schon oft hochbegeistert erlebt; diesmal schien der Euphoriepegel um noch einige Grade gesteigert.

 

 Christoph Zimmermann

 

Kurz und bündig: Musikalische Höhenflüge, szenisch überaus diskutabel