Die Jagd nach dem Hut-Glück
Für eine Verfilmung eignet sich Eugène Labiches Komödie Der Florentiner Hut (1851) bestens. Die Orte wechseln rasend schnell, die Schauspieler stolpern von einer Situationsfalle in die nächste, das Aktionstempo diktiert Milieu und Unterhaltung. Auf der Bühne wird das schwieriger, wenn Musik hinzu kommt, wenn die Akteure singen (und dadurch die Rasanz verlangsamen), wenn die darstellerischen Möglichkeiten nicht kongruent sind mit den Anforderungen an die Charaktere dieser Operette. Oder einer musikalischen Farce. Oder einer Vaudeville mit viel ariosem Pomp. Also: Gelsenkirchen wagte es trotzdem, mit seinem Ensemble das Labiche-Stück, durch die Musik des Italieners Nino Rota geadelt, auf die Bretter zu hieven. Die Einschränkungen – siehe oben – blieben. Das nicht voll besetzte Große Haus (galt das Theater nicht einmal als Operettenhochburg?) feierte dennoch die von Sonja Trebes klamaukig inszenierte und von Thomas Rimes musikalisch bestens auf Trab gehaltene Aufführung.
Apropos Trab: Ein Gaul (längst vom Auto abgelöst!?) trägt eigentlich die Schuld, dass der Plot überhaupt komisch und absurd ablaufen kann: Das Pferd schnappt nach Heu und erwischt einen Strohhut, eben den „Florentiner“. Der gehört einer verheirateten Frau, die sich ein Schäferstündchen im Park erlaubt. Um nach Hause zurückkehren zu können, braucht sie unbedingt ihren Hut zurück… Und schon rollt die Musikkomödie routiniert mit Slapstick und abenteuerlichen Stationen ab. Der geile Gockel Fadinard (Ibrahim Yesilay), der mal zwischen seinen Liebschaften schnell noch heiratet, sucht den geraubten Hut: bei der Baronesse, bei Partys, bei Freunden. Aber alle Bemühungen scheitern. Bis zum Happyend alle merken, der gesuchte „Florentiner“ stand die ganze Zeit unbeachtet in der Ecke zuhause.
Vorangestellt wurde in Gelsenkirchen ein Mini-Musikstückchen: Die Fahrschule, in der der liebestolle „Held“ jungen naiven oder auch schon gereiften Damen die Geheimnisse von Gasgeben, Lenken und Bremsen auf vier Rädern beibringen soll. Doch die Gesellschaft landet immer im Bett… Hose runter, Hose rauf – das ist die Begleitmusik dieses 10-Minuten-Spaßes, der erstmals von einer deutschen Bühne gespielt wurde.
Alle machten bei dem scheinbar in Paris, aber doch eher in Italien präsenten Jux mit charakterlichem Eifer und schönen Tönen mit: Ibrahim Yesilay, der neue Lyriktenor am MiR, der seltsam schwankend zwischen ganz leise und dann wieder erstaunlich durchdringend seine stimmlichen Aktivitäten kontrollierte, als ewig suchender Fadinard; Joachim G. Maaß als einem Mafiapaten angenäherten Schwiegervater Nonancourt; Piotr Prochera als Lover Emilie, Urban Malmberg als Bürger Beaupertuis; und dann schließlich die weibliche Riege des Ensembles mit Anke Sieloff (Anaide), Bele Kumberger (Elena), Noriko Ogawa-Yatake (Baronessa) u.a. Der Chor (Alexander Eberle), in Gelsenkirchen wie gehabt schön „theatralisch“ individualisiert, darf ebenfalls seinen komödiantischen Senf dazu geben.
Nino Rotas Musik ist eine unterhaltsame Collage aus Tradition und Gegenwart, aus Puccini-Kantilenen und filmisch inspirierten Klangorten, immer situationsgerecht. Thomas Rimes interpretiert sie mit der Neuen Philharmonie Westfalen witzig und temperamentvoll. Gesungen wurde übrigens im italienischen Original.
Hat sich das Unternehmen in der zu eng gefassten Kulisse von Dirk Becker gelohnt? Der Florentiner Hut ist genau so gut wie viele populäre Operetten-Schmonzetten. Aber: Die flotte Entertainment-Nähe zur Klamotte könnte man mit mehr Ironie-Schokolade übergießen. Das vergaß die Regie zu oft. Wie auch die absurden oder auch kritischen Qualitäten der Vorlage. Hier entblößt sich schließlich die bürgerliche Gesellschaft.