"Tanzen will ich, singen will ich“
Die Liebesgeschichte des Fürstensohns Edwin und der Chansonette Sylva Varescu gehört sicher zum Schönsten, was die Gattung Operette hervorgebracht hat. Emmerich Kálmán hat mit der Csárdásfürstin sicher sein Meisterwerk geschaffen – viele wunderschöne Melodien mit einem gehörigen Maß an Melancholie und Sentiment. Doch ist die Csárdásfürstin keineswegs eindimensional. Kálmán hat Brüche und Fragezeichen mitkomponiert, die dem gesellschaftspolitischen Hintergrund der Entstehungszeit durchaus angemessen sind: Tanzt die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie doch auf Walzersohlen rapide ihrem Untergang entgegen. Love-Story vor dem Hintergrund eines drohenden Krieges - das ist genug Material für mitreißend-nachdenkliches Bühnengeschehen. Deshalb gehört die Csárdásfürstin zu Recht auf die Bühnen unserer Theater.
Holger Potocki zeigt uns diese politische Dimension erst ganz am Schluss. Da schlafen dann Flüchtlinge auf einem Berg von Koffern in der Hotel-Rezeption, wird ein Video von einer Pegida-Demonstration gezeigt und bevölkern Uniformierte die Bühne. Das kommt sehr unvermittelt, da sich zuvor nichts dergleichen andeutet und einen Bruch im vorher gezeigten Regiekonzept darstellt. Gesellschaftspolitik, weil sie sein muss?
Bis dahin gibt es nämlich Operettenseligkeit pur. Bernhard Niechotz schafft wunderbar geschmackvolle schwarz-silberne Kostüme, abgestimmt auf ein Theater in Muschelform und den altweiß-silbern schillernden fürstlichen Ballsaal. Das ist gewiss genauso hübsch anzusehen wie das Quartett der Chansonetten, aber irgendwie fehlt das Aha-Erlebnis. Ebenso niedlich die Choreografien Alfonso Palencias: All’ die Hebungen, das korrekte Beineschwingen in der Reihe kommen so unglaublich bekannt daher und bieten wenig Neues. Potocki bewegt seine Akteure in der Szenerie immer stimmig und bringt so schöne Gesamtbilder zustande, die gewürzt werden mit in die Dialoge einfließenden Einsprengseln mit lokalen Bezügen. Das täuscht alles aber nicht hinweg über den Eindruck einer routinierten, aber in keiner Weise innovativen Csárdásfürstin.
Operette ist was für „Rampensäue“. Und die hat das Theater Hagen genug, um eine vergnüglichen Theaterabend zu gestalten: Werner Hahn gibt in seiner letzen Hagener Saison einen ebenso gravitätischen wie von seiner Gattin gesteuerten Fürsten. In deren Darstellung durch Marilyn Bennett blitzt das resolute, ehemalige Show-Girl immer wieder durch. Das macht Spaß wie der agile, bewegliche Richard van Gemert als Boni und Rainer Zaun als sonorer, abgeklärter Feri Bácsi.
Kenneth Mattice verfügt über einen wunderschönen Bariton voller Wohlklang. Dennoch ist er in der Operette noch nicht angekommen. Sein Edwin wirkt eher wie ein schüchterner, verliebter Pennäler denn wie ein feuriger Operettengalan. Das deutsche Idiom ist ihm noch nicht so vertraut, auch wenn diese Tatsache von der Regie durch den Hinweis auf seine halbamerikanische Herkunft kaschiert wird. Aber das ist sicher: Mattice und die Operette können Freunde werden. Sylva Varescu und Veronika Haller passen nicht recht zu einander. Sylva ist einerseits kühl überlegend; andererseits schlummert ein Vulkan in ihr. Haller bleibt diesen Vulkan schuldig, singt eindimensional und offenbart klirrende Höhen. Darstellerisch ist sie perfekt. Maria Klier hat Operette in sich aufgesogen. Sie erweist sich als Soubrette im besten Sinn des Wortes. Ihre Stasi ist gekennzeichnet durch mühelose Spitzentöne und schauspielerische Qualitäten.
Der Chor des Theaters Hagen ist einfach saugut drauf. Genauso das Philharmonische Orchester unter Steffen Müller-Gabriel, das Vorwärtsdrang wie Innehalten perfekt austariert.