Übrigens …

GÖTTER. Wie die Welt entstand im Köln, Freies Werkstatt-Theater

Toll trieben es die alten Götter

Unaufgeregt betritt der Düsseldorfer Realschüler Ari von Angern die Bühne im Freien Werkstatt Theater Köln und knipst eine von der Decke baumelnde Leselampe an. „Und Gott sprach: Es werde Licht“, denkt der Zuschauer, denn schließlich heißt die Uraufführung des heutigen Abends „Götter. Wie die Welt entstand. Doch weit gefehlt: Was Ari anknipst, ist nicht das Licht der Welt. Es ist, was es scheint: eine Leselampe. Der Junge liefert eine Art Lecture Performance ab: Er hat offenbar einen Besinnungsaufsatz geschrieben, in dem er zu dem Schluss kommt, dass die Welt wohl schon existierte, bevor er selbst geboren wurde. Belege findet er bei schon etwas angejahrten Möbeln und Musikgruppen, doch schließlich landet er bei den wachsenden Abständen auseinanderdriftender Galaxien und beim Urknall. Und bei der Frage aller Fragen im Hinblick auf die Entstehung der Welt: „Wissenschaftler können zurückrechnen. Und es geht alles auf. Bis auf die erste Zehntelsekunde.“

Schon in diesem allerersten, noch etwas unbeholfenen Auftritt des jungen Schülers erkennen wir die typische assoziationsstarke Phantasie der Subbotniks, die so leicht in bezaubernde Poesie umschlägt. theater:pur-Leser kennen sie längst, denn dieses Magazin hat die im Jahre 2012 gegründete Gruppe (fast) seit ihren Anfängen mit Sympathie und einer gewissen Faszination für ihre neue, unaufgeregte und zugewandte Theatersprache begleitet. Ganz uneitel, aber wie der freundliche Märchenerzähler beim Zubettbringen der Kinder unterbreitet Martin Kloepfer dem jugendlichen Zielpublikum (die Aufführung ist für Menschen ab 10 Jahren gedacht) diverse abstruse Theorien vom Urknall, bevor er sich dann doch auf die Götter konzentriert. Und zwar nicht auf den, der sprach „Es werde Licht“ und dann einfach die Sonne anknipste, sondern auf jene intrigante, Ehepartner und Verwandte betrügende Combo, die uns noch heute mit ihren Liebschaften und Rachefeldzügen, mit Generationen überdauernden Bannflüchen und mit so manchen höchst menschlichen Lach- und Sachgeschichten unterhält: auf die Götter des alten Hellas.

Am Anfang also – da war auch bei den ollen Griechen „das Nichts, die absolute Leere.“ Und daraus entstand Gaia, die Göttin aller Dinge. In Köln also Nadja Düsterberg. Im weiten Mantel erkennt man sie schemenhaft durch den Bühnennebel. Es gibt ein bisschen Heulen und Zähneausschlagen, „und alles war gut. Alles war immer.“ Zauberhaft, wie nonchalant die Griechen die Ewigkeit erfanden – man versteht glatt, warum die sich heute noch nicht um Zins- und Tilgungstermine ihrer Staatsschulden kümmern. Wir aber haben einen neuen Erzähler: Oleg Zhukov ist Zeus, und Gaia ist seine Großmutter. In einfachen Worten, mäandernd zwischen Poesie und Ironie, erklärt Zeus uns die wunderbare Welt der Mythen. Er erzählt von Gaias Schaffenskraft: wie sie Pontos, das Meer, Uranos, den Himmel und Chronos, die Zeit, schuf, ja, und Tartaros, die Unterwelt, die noch unter dem Hades liegt: Neun Tage dauert es, bis ein Stein, den man zu Tartaros hinabwirft, unten ankommt. Uranos macht sich selbst zum Herrscher – er zieht Gaia den hübschen Umhang aus und sich selbst an und führt uns die gemeinsam mit Gaia erschaffenen zwölf Titanen vor: eine Kiste mit zwölf Mineralwasserflaschen. Und wieder erkennen wir Subbotniks Sinn für absurden, augenzwinkernden Humor, ihre sympathische Weise, auch die eigenen Erzählungen nicht allzu ernst zu nehmen.

Chronos lehnt sich auf, bringt aus Sorge um seinen Machterhalt alle seine Kinder um - mit Ausnahme von Zeus, der durch eine List überlebt. Chronos, der „mächtige Titan“, wird – wie könnte es anders sein? – von Kornelius Heidebrecht verkörpert, dem schmächtigsten von Subbotniks Bühnentitanen. Die Zeit singt ein Tick tack, tick, tack, ein raunendes „Ich bin immer nur wach“, und es klingt, als sei sie der Urvater von Herman van Veen. Doch Zeus bezwingt die Zeit. Spannend ist dieser Kampf zwischen dem heute als Göttervater titulierten Sieger und seinem Papa, aber Subbotnik präsentiert ihn ganz relaxt: Für die Spannung sorgt der Soundtrack, für den in dieser Szene vor allem die Harfenistin Esra Mutlu und der Posaunist Henning Nierstenhöfer, der schön häufig mit der Köln-Düsseldorfer Theatertruppe zusammengearbeitet hat, stehen. Martin Kloepfer gibt nun den Prometheus, menschenfreundlich, kindgerecht und mit einer naiven Glückseligkeit. Er beginnt zu töpfern. Himmlisch sind seine Tierversuche: Ameisen vor allem: „Die finde ich toll. Sie leben zu Hunderten in einem Haus und haben nie Streit.“ Aus dem letzten Hundertstel seines Lehms macht er die größeren Tiere. Und schließlich, weil Zeus unzufrieden ist, knetet er aus ein paar Affen und Antilopen den Menschen. Bloß: Der kann nix. Und er hat keine Disziplin.

Die Geschichte von Prometheus, dem Schöpfer des Menschengeschlechts, ist hinreißend, bezaubernd, voller Humor – und Martin Kloepfer ist eine Show. Die griechischen Mythen werden noch weitererzählt: Prometheus wird zum Lehrer; wir erfahren von der Weitergabe des Feuers an die Menschen, die nun mit Prometheus Suppe essen können, wir hören vom Echo; wir lauschen der dunklen Geschichte der bildhübschen Kore und der Erzählung von der Büchse der Pandora, die das Fieber und die Schmerzen unter die Menschen bringt: Griechische Schöpfungsgeschichte in 75 Minuten, leicht, locker, humorvoll, aber niemals albern oder in die Comedy abgleitend. Sogar einen griechischen Chor hat diese Aufführung: Er besteht aus acht Laien jeden Alters, von denen jeder einzelne seine fünf Minuten Ruhm bekommt. Thuy-Tien Nguyen darf sogar die mystische Kore spielen.

Als Musiktheaterprojekt betiteln die Subbotniks inzwischen die meisten ihrer Produktentwicklungen, weil sie immer mit – ebenfalls unaufgeregt skurrilen – Soundtracks arbeiten. Kornelius Heidebrecht ist von Haus aus Musiker und Komponist, und er stellt seine Fähigkeiten auch diesmal unter Beweis. Nierstenhöfer prägt nicht nur an der Posaune, sondern auch am Schlagzeug die Atmosphäre vieler Szenen, und Esra Mutlu vermag der Harfe nicht nur zärtliche Töne zu entlocken. Eigentlich aber sind Subbotnik-Performances weder Musiktheater noch Schauspiel. Sie sind genreüberschreitend – und wenn man die einfachen Bühnenbilder und Requisiten betrachtet, mit denen die Akteure so phantasievoll umgehen, könnte man die Truppe auch als Vertreter der Arte Povera bezeichnen. Auch wenn die Zielgruppe ihrer schmackhaft mit den typischen Subbotnik-Zutaten gewürzten „Götter“-Speise die jugendlichen Theaterzuschauer sind (ebenso wie bei der soeben vom Schauspiel Köln übernommenen Koproduktion von Theater an der Ruhr und FFT Düsseldorf Robinson Crusoe, spricht die Arbeit jederzeit auch den Erwachsenen an. Der Erfolg dürfte der Inszenierung bei beiden Gruppen gleichermaßen gewiss sein.