Wenn die Fassade einstürzt…
Nein, diese Witwe Hanna ist nicht lustig. Sie ist stolz, aber nie überdreht oder hochnäsig. Sie ist sensibel, aber nie weinerlich. Sie wahrt ihren Charakter, aber sie biedert sich nie an. In einigen Momenten genießt sie den Ball, den Tanz, die Unterhaltung, aber sie verliert nie die Contenance. Sie bleibt sie selbst.
Und sie wird umflirrt von Männern. Männer? Hallodris, Schwerenöter, Nach- und Mitläufer, Marionetten, Flirtprofis, Glücksritter. Nur einer beweist Courage und eine gewisse Rückgrat-Natur: Das ist Graf Danilo. Und der, gerade mal wieder seinen Frust bei den Grisetten im „Maxim“ abladend, soll das „Vaterland“ Pontevedrino retten: durch eine Heirat mit der reichen „lustigen Witwe“, um deren Besitz es bei der Liaison geht.
Das ist ein turbulent-absurdes Operettenland. Oder doch nah an der Wirklichkeit? Wenn die Fassade dieser Oberflächen-„Helden“ entlarvend herunter gerissen wird, kommt in der Tat ein wenig Realität heraus. Eine mit Schleier, mit Lügen, mit Hindernissen.
So ist die Gesellschaft in der Lehár-Operette also schön und mit etlichen ironischen Seitenhieben verteilt: hier die Kannste-vergessen-Mischpoke, dort die Welt der echten Gefühle, der Verletzungen, der neu aufflammenden Liebe.
Sandra Wissmann richtete den Bestseller von gestern (oder auch noch heute?) ein, ohne große Eingriffe, ohne Neumodisches, ohne Zeitraffer. Sie konzentriert sich auf die kessen Kommentare von Njegus (Dirk Weiler), dessen Part aufgewertet wird und der sich chamäleonhaft durch ein Dickicht von Typen kämpft – Kammerdiener, Spiel-Moderator, Weiser, Narr, Kümmerer, Supervisor, Bindeglied zwischen den sozialen Blöcken. Wenn die Regie doch dessen Tenor und Spielwitz auf alle Szenen übertragen hätte… So bleibt vieles fahl, lau, konventionell, -zigmal gehört und gesehen bei dieser MiR-Produktion im fast ausverkauften Haus.
Nur wenn dieser Njegus seinen Spaß abspult und wenn der Konflikt zwischen den Protagonisten Glawari/Danilo aufbricht und schließlich freundlich und zukunftsgewiss gelöst wird, dann wird es ernst mit dem Jux, dann wird die Operette blitzartig zur komischen Oper, dann fällt die Maske dieser verlogenen, taumelnden Gesellschaft, die Lehár gewitzt an den Unterhaltungspranger stellt.
Auf der schnell veränderbaren Bühne von Britta Tönne – die „typische“ Operettentreppe, ein paar Säulen, Bänke, Leuchter etc. – wird ein Schicksal abgehandelt – das von Hanna und Danilo, die zueinander gehören und passen, die aber (vor allem was den Grafen anbelangt) von Missverständnissen geprägt sind. Die müssen erst ausgeräumt und überwunden werden. Pontevedrino ist in der Vergangenheit und Gegenwart überall.
Was wäre das Erfolgsstück aus dem Jahr 1905, mit der Lehár eine Hommage an die neue, selbstbewusste Frau seiner Ära singt, ohne Tanz, ohne Dreivierteltakt, ohne gewisse Anzüglichkeiten, ohne erotisierende Melodien! Für dies alles sorgt das Orchester, das von Rasmus Baumann mal edel, mal treibend, aber immer souverän geführt wird. Die Musik sagt fast alles: Doppelbödigkeit, Liebenswürdigkeit, Satire, soziale Schwingungen und Spannungen. „Vilja-Lied“, „Dann geh ich ins Maxim“, „Lippen schweigen“ usw. – sämtlich über 100 Jahre alte Schlager, in denen sich noch heute das Publikum genüsslich wiegt. Und GMD Baumann gibt dem Affen Zucker. Aber auch einiges Temperament.
Ein neues Traumpaar am MiR: Anke Sieloff, die Vielseitige, als Glawari, und Michael Dahmen als neu bekehrter Danilo. Die beiden singen homogen, schön, im Walzer gebettet. Von den vielen anderen Ensemblemitgliedern seien noch genannt: Bele Kumberger als Valencienne, Ibrahim Yesilay als Draufgänger Rosillon, der unverwüstliche Joachim G. Maaß als Baron-Karikatur sowie der schon genannte Alleskönner Dirk Weiler.
Dem Publikum gefiel´s. Es gab viele beifällige Bekundungen nach drei Stunden für die attraktive Witwe und ihre klischeebesetzten Operetten-Vasallen.
Eine Anmerkung: Die Dialoge waren im Rang kaum zu verstehen. Es wurde zu schnell und zu undeutlich gesprochen. Eine gute Ausnahme: Michael Dahmen.