Übrigens …

Candide im Köln, Oper

Selten gespielt

Kürzlich äußerte sich die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker zur Städtischen Oper, welche - wie an dieser Stelle schon mehrfach erwähnt - derzeit grundsaniert wird, wobei die Kosten (wie freilich auch anderswo) peu à peu in die Höhe klettern. Dies sei vor allem Menschen kaum zu vermitteln, welche Musiktheater als eine elitäre Einrichtung für einen sehr überschaubaren Kreis von Interessenten betrachten. Man möge doch, wie etwa in Gelsenkirchen (wo Frau Reker Erfahrungen sammeln konnte), den Spielplan unbedingt publikumsorientiert gestalten, wozu besonders die Genres Operette und Musical taugen könnten. Nach kritischen Reaktionen in der Presse suchte Frau OB zu beschwichtigen: ihre Worte seien lediglich eine Empfehlung gewesen, sollten keine irgendwie geartete Einflussnahme auf die Leitung des Hauses bedeuten. Die Aufregung hat sich wieder gelegt, Überdies ist es so, dass die Oper Köln gerade jetzt Leonard Bernsteins Candide spielt und in Bälde eine halbszenische Aufführung von Carl Zellers Vogelhändler folgen lässt.

Candide - leichte Muse? Man könnte daran erinnern, dass selbst die West Side Story des Komponisten, definitiv als Musical geführt, mit dieser Bezeichnung eigentlich kaum zu fassen ist. Das Ende der Handlung ist ein zutiefst trauriges. Der Stoff ließe sich ohne weiteres zu einer astreinen Tragödie formen, Gleiches gilt für Candide. Dieser ist ein dem Leben aufgeschlossener junger Mann, der von seinem Lehrer Pangloss die Überzeugung vermittelt bekommt, die bestehende Welt sei die beste überhaupt denkbare. Und sollte es mal Schatten geben: „Das Unglück des Einzelnen dient dem allgemeinen Wohl. Je mehr persönliches Unglück, desto größer das allgemeine Wohl.“

Candide glaubt diesen Schmus, wird dann aber auf höchst schmerzliche Weise eines Besseren bzw. Schlechteren belehrt. Historisch gesehen handelt es sich um den Thesenstreit zwischen Voltaire und dem sonnambulen Gutmenschen Leibniz. In achtzig Tagen und mehr um die Welt macht Candide also ernüchternde Erfahrungen, erlebt sogar, dass ihm seine geliebte Cunegonde in der Welt käuflicher Liebe abhanden kommt. Der Schluss bietet dem Paar immerhin ein kleines Glück in der Bescheidenheit eines kleinen Bauernhofes und mit der Zuflucht zu den kleinen Dingen des Lebens. Dieses Finale ist auch in der Bearbeitung letzter Hand (Scottish Opera Version, 1988) eine Schwachstelle des Werkes: eine Requiem-Gloriole, welche nach Beethovens „Neunter“ zu schielen scheint. Das bebildert auch die Regie plakativ und schönfärberisch.

Die Kölner Aufführung ist keine hausgemachte, sondern eine Übernahme vom Münchner Gärtnerplatz-Theater aus der letzten Saison. Dort hatte man 1999/2000 bereits eine Konzertversion mit herrlichen Texten von Loriot geboten, die mit dem moderierenden Autor auch in der Kölner Philharmonie zu erleben war. Die aktuelle Inszenierung stammt von Adam Cooper, als Tänzer lange Jahre Mitglied des Londoner Royal Ballet, inzwischen ins Regiefach gewechselt. Dass in seiner Arbeit choreografische Elemente eine große Rolle spielen, versteht sich also und ist inszenatorisch auch absolut richtig und stimmungsfördernd. Die Aufführung wirkt locker, angenehm ironisch, indem sie mit den ernsten Untertönen des Sujets spielt, ohne diese aber zu unterdrücken.

Ein großes Erlebnis ist die Ausstattung von Rainer Sinell. Die Weltreise von Cunegonde und Candide visualisiert sich in einem die Szene großräumig umrahmenden, malerischen Bilderpanorama. In der Mitte die Ansicht eines historischen Atlas‘, auf welchem ein virtueller Pfeil stets den jeweiligen Handlungsort anzeigt. Links und rechts daneben „naive“ Malereien, wie aus einem Schulwettbewerb stammend. Eine Flut attraktiver Kostüme (Alfred Mayerhofer) ergänzen diese farbenfrohen Bilder. Selten hat man das derzeitige Kölner Provisorium „Staatenhaus“ so überzeugend als Raumbühne erlebt.

Die Dimensionen der großen Spielfläche zwingen das Gürzenich-Orchester freilich wieder einmal in den (unsichtbaren) Hintergrund, was klanglich aber keine Abstriche bedeutet. Dass der unter dem jungen israelischen Dirigenten Benjamin Shwartz erarbeitete, schmissige, dabei sinfonisch durchaus anspruchsvolle Sound hier und da etwas „fetziger“ klingen könnte (zumal in der sprudelnden Hit-Ouvertüre), sei nur beiläufig angemerkt. Klanglich etwas irritierend wirkt sich freilich die Verwendung von Mikroports aus. Wo immer sich die Akteure auf der Bühne auch befinden, ihre Stimmen erklingen mittig. Mitunter benötigt man einige Zeit, um ihren Standort visuell auszumachen.

Nicht immer sind selbst vertraute Sänger wie Dennis Wilgenhof oder Lucas Singer individuell zu erkennen, so sehr und so oft verwandeln sie sich (auch kostümlich) in die unterschiedlichsten Rollen. Am besten ist John Heuzenroeder zu identifizieren, zumal er mit einem lyrischen Solo samt hohem C tonschön aufzuwarten weiß. Auch der durch seinen schlanken, hohen Wuchs immer erkennbare Stefan Wolfgang Schwaiger geht dem Zuschauer nie ganz „verloren“. Sein schwuler Maximilian ist einfach köstlich.

Alexander Franzen gibt als Voltaire den Maitre de plaisir, gibt dann auch - darstellerisch äußerst variabel - Pangloss u. a. Als Old Lady ist Dalia Schaechter die erwartete Bühnenpersönlichkeit und visuell wie sängerisch ein Bijou. Für Koloratur zeigt sich wieder einmal Emily Hindrichs zuständig. Als Cunegonde hat sie mit „Glitter and be gay“ eine Virtuosennummer par excellence und absolviert diese ebenso furchtlos wie charmant. Ob Gideon Poppe gegenüber Jeonki Cho (Premiere) als Candide der möglicherweise „treffendere“ Typ ist, kann lediglich gemutmaßt werden. Auf jeden Fall strahlt er viel Jugendunschuld aus. Sein leicht baritonal gefärbter Tenor (an seinem derzeitigen Stammhaus Deutsche Oper Berlin wird er vor allem in Buffopartien eingesetzt, verkörperte allerdings auch schon Brittens Peter Quint) vermännlicht die Figur indes angenehm.

Bei dem ausgedehnten Schlussbeifall mit unzähligen „Vorhängen“ macht man sich nochmals bewusst, wie viele Mitwirkende bei dieser Aufführung dabei waren, auch wenn sie sich nicht immer nachdrücklich einprägten. Dies gilt auch für die Mitglieder des quicken, von Andrew Ollivant einstudierten Opernchors.