Dido und Aeneas im Köln, Theater im Bauturm

Dido und Aeneas im Bauturm

Man traute seinen Augen kaum: das im Stadtzentrum gelegene „Bauturmtheater“, unter den kleinen Bühnen in Köln ganz oben angesiedelt, spielt auf einmal eine echte Oper. Richtig mit Sängern, Orchester und Chor. Ist das etwa der Versuch, diese Kunstform wieder im Herzen der Stadt anzusiedeln, nachdem die erneute Inbetriebnahme des Riphahnbaus am Offenbachplatz in unbestimmt weite Ferne gerückt ist? Mitnichten natürlich; das ist einfach ein gelungener „Running Gag“ vom neuen Leitungsteam des Hauses zum Jahresbeginn 2017. Sowie derzeit die umbaugeplagten Leidensgenossen Schauspiel Köln und Düsseldorf aufgrund einer langen Freundschaft ihrer Intendanten eigene Inszenierungen tauschen, so ist der Bauturm-Dramaturg René Michaelsen ein alter Freund von Martin Mutschler, der Dido und Aeneas, die einzige Oper Henry Purcells an der Hochschule Hamburg mit Studierenden im Herbst 2016 inszeniert hatte. So kamen die Nordlichter flugs für ein paar Tage mit Sack und Pack an den Rhein, zumal ihre Hochschule derzeit auch unter Baumaßnahmen leidet.

Umbauen mussten die „Bautürmer“ ihr Haus bzw. die Bühne allerdings auch: ein vierköpfiger Chor und acht Musiker brauchen halt ihren Platz, ebenso die sechs Solo-Sänger/innen. So wurde ein Teil der Theaterstühle seitlich auf die Bühne verfrachtet zu Gunsten einer größeren Spielfläche. Für die eingeladenen Mitglieder des rührigen Fördervereins gab es - neben dem ungewohnten Anblick des Theatersaals - sogar Sekt aufs Haus, als Regisseur Martin Mutschler eine launige Einführung zu seiner Sichtweise auf das Stück gab. Ihn interessiert weniger das traditionelle barocke Handlungsschema, sondern die Suche nach der Liebe durch alle Zeiten. Die phönizische Königin Dido ist verliebt in den Helden Aeneas; alles scheint klar zu sein. Aber eine missgünstige Zauberin sogt mit ihren Hexen dafür, dass Aeneas als Nachfahre der Gründer Roms durch einen Geist als falscher Merkur zum Aufbrechen genötigt wird, um das zerstörte Troja wieder herzurichten. Er sucht Dido auf und bereut seine Zusage an Merkur, aber Dido will ihn nicht anhören und sucht - zumindest in Purcells Originalversion - alleingelassen den Tod.

Mutschler hat die Gegenwart und die Antike miteinander verwoben, hat um die eigentliche schaurige Geschichte quasi eine Rahmenhandlung gebaut, die zum Durchdringen allerdings einige Fantasie erfordert. Der Regisseur hatte bewusst auf Übertitel verzichtet (was für nur zwei Aufführungen auch einen Riesenaufwand bedeutet hätte): man verstünde das Stück auch ohne Englischkenntnisse, und die Dialoge würden ohnehin auf Deutsch gesprochen. Die beiden Liebenden leben in der Jetztzeit, sie erforschen ihre Vergangenheit, laden den Zuschauer ein, mitzumachen. Hilfreich wäre es gewesen, den klugen Text des Dramaturgen Alexander Fahima vorher gelesen zu haben. Denn man kann kaum alle Details in den unterschiedlichen Handlungs- und Zeitebenen nachvollziehen und auch behalten, dazu bräuchte man seine Wahrnehmungsorgane eigentlich in doppelter Ausführung. So bleibt es beispielsweise absichtlich unklar, ob sich Dido wirklich umbringt. Denn zu allen Details kommt noch eine Videoproduktion von Trinh Hue Luonh als Hintergrund, die quasi unter den Augen der Zuschauer produziert wird, und offensichtliche Anweisungen an die Akteure.

Aber das ist alles nicht so arg wichtig, denn man kann ungebremst die Musik und die jungen Sängerinnen und Sänger genießen. Es ist immer wieder erstaunlich, auf welch hohem Niveau sich Studierende heutzutage bewegen; sicherlich auch Folge eines harten Konkurrenzkampfes der vielen Nationen im „Kulturschlaraffenland“ Deutschland.

Das kleine Hochschul-Barockorchester, unter anderem mit zwei Theorben, dirigiert Felix Schönherr sehr aufmerksam und einfühlsam vom Cembalo aus; trotz teilweise unzureichender Sicht und natürlich auch ohne Bildschirme klappt das hinsichtlich der Einsätze und Tempi ganz vorzüglich. Das Ergebnis ist ein mitreißender, federnder Barockklang, knackig und spritzig, genau wie der des kleinen Chores, in dem auch der Regisseur selbst mitsang. Auch die Solistinnen und Solisten - in der Antike zart nachempfundenen Kostümen (Dennis Peschke) - waren schlichtweg eine Wucht, allen voran Juliane Dennert und Maurice Lenhard in den Titelrollen. Dido gestaltete ihre Rolle technisch souverän und sehr ausdrucksvoll, ebenso erfreute Lenhard mit klangschönem, sicher geführtem Bariton. Eine Doppelfunktion hatten Hanna Ramminger als Belinda und 1. Hexe sowie Marlen Korf als 2. Frau und 2. Hexe mit wunderbaren Sopranstimmen. Natürlich durften auch die obligaten Countertenöre nicht fehlen; hier ließen Benjamin Boresch und Axel Heil ihr ganz beachtliches Stimmmaterial hören. Man darf gespannt sein, wie sich alle diese jungen Sängerinnen und Sänger entwickeln werden.

Und ganz herrlich war die Spielfreude aller Akteure anzusehen, die mit vollem Ernst, Einsatz und Engagement sangen und spielten, als wäre die Premiere angesagt. So empfanden es auch die Zuschauer, die sich zum Teil ganz schön knubbeln mussten und kaum Platz hatten zum begeisterten Klatschen. Aber so ist es in der Kunst: ist es toll, ist es auch voll. Zumindest meistens.