Übrigens …

Der Konsul im Mönchengladbach, Theater

Modern, aber nicht avantgardistisch

Einen aktuelleren Bezug hätte es kaum geben können. Die Menotti-Oper Der Konsul berichtet vom Widerstandskämpfer John Sorel, welcher von der Geheimpolizei verfolgt wird. Nur die Flucht in ein anderes Land könnte Rettung bringen. Da John untertaucht, versucht seine Frau Magda, auf einem Konsulat Ausreisevisa zu beschaffen. Doch bei der zuständigen Sekretärin wird sie mit kalten Vorschriften konfrontiert, muss unentwegt Formulare ausfüllen. Diese Prozedur zerreibt sie, zudem sterben Mutter und Söhnchen. Da das Schicksal ihres Mannes ungewiss bleibt, wählt sie schließlich den Freitod durch Einatmen von Herdgas. Einen Anruf, welcher möglicherweise die Wende zum Positiven angekündigt hätte, vermag die Sterbende nicht mehr entgegenzunehmen.

Der Anlass für Menotti, nach kleineren Bühnenstücken eine erste abendfüllende Oper zu schreiben (incl. Libretto), war die Zeitungsnotiz über eine polnische Emigrantin, die wegen Verweigerung einer Aufenthaltsgenehmigung in den USA Selbstmord beging. Vergleichbare Schicksale bei europäischen Freunden mögen für den Komponisten hinzugekommen sein. Das Niederrheinische Gemeinschaftstheater Krefeld/Mönchengladbach hat den Konsul mit Blick auf die anhaltende Flüchtlingssituation gezielt in seinen Spielplan aufgenommen. Die jüngste Trump-Farce (Kommentar im Programmheft) war bei diesem Entscheid freilich noch nicht absehbar.

Der Uraufführung am Shubert Theatre in Philadelphia 1950 (welche auch auf Platte festgehalten wurde) folgten sage und schreibe 269 Vorstellungen, und internationales Interesse bewirkte, dass rund zwanzig Übersetzungen entstanden. Die Deutsche Erstaufführung erfolgte 1951 in Hamburg in einer Rennert-Inszenierung mit Martha Mödl als Magda. Bald darauf war an der Berliner Städtischen Oper Inge Borkh in dieser Partie zu erleben; sie nahm unter der Stabführung von Artur Rother auch zwei Szenen auf. Auch Mönchgengladbach spielte den Konsul sehr früh, nämlich 1952. Gemäß Auskunft der Operndirektion soll die Sängerin der Magda direkt nach der Generalprobe verstorben sein. Wie man die Premiere rettete, ist nicht bekannt. Fotos der damaligen Ausstattung (entliehen einer Sammlung im Theatermuseum Köln-Wahn) werden jetzt schemenhaft auf den Vorhang projiziert.

In jüngerer Zeit ist es etwas stiller um den Konsul geworden, die letzte Produktion scheint 2014 in Paris gewesen zu sein. Ganz aus den Augen verloren hat man das Werk freilich nie, was unter anderem an einigen CD-Einspielungen abzulesen ist. Auch das Fernsehen engagierte sich mehrfach. In einer amerikanischen Verfilmung 1960 war die UA-Magda Patricia Neway zu erleben (Ausschnitt bei Youtube), der ORF folgte 1963 mit dem Orchester der Wiener Volksoper unter Franz Bauer-Theussl. Das Sorel-Ehepaar war mit Melitta Muszely und Eberhard Wächter besetzt, die Mutter gab die fast 70jährige Res Fischer, vermutlich einer ihrer letzten Auftritte. In kleineren Partien waren Willy Ferenz, Laszlo Szemere sowie die einstigen Primadonnen Ljuba Welitsch und Hilde Konetzni beteiligt; Gloria Lane war die Sekretärin schon der der Uraufführung. Eine DVD dieser Produktion ist weiterhin erhältlich.

Die amerikanische Oper ist ein eigener Typus von Musiktheater. Avantgarde-Stress hat man in den USA weitgehend vermieden, zumindest in der ersten Zeit nach 1945. Menotti zu diesem Thema in einem späten Interview: „Sollte ich ästhetische Vorfahren nennen, würde ich sagen, dass meine melodische Lyrik von Schubert beeinflusst wurde und meine dramaturgische Musik von Mussorgsky. Was ich von Puccini zu lernen versucht habe und als große Errungenschaft ansehe, ist die Kunst, Arien zu schreiben, die melodische Rezitative sind und Rezitative, die melodische Arien werden.“

Menotti blieb also auf dem Boden der Tonalität wie auch sein zeitweiliger Lebensgefährte Samuel Barber oder Douglas Moore, dessen Ballade von Baby Doe man vor etwa einem Vierteljahrhundert in Bielefeld kennenlernen konnte, als John Dew dort Oberspielleiter war und konsequent und energisch mit Werken seines Geburtslandes bekannt machte. Gloriose Jahre der Oper !!!

Der Konsul, mittlerweile 65 Jahre alt, beansprucht nicht, radikal am Puls der Zeit zu sein, aber das Werk bietet ein politisch hautnahes, dramatisch flammendes  Sujet, welche in expressive Melodik gekleidet ist. Über weite Strecken lässt das musikalische Idiom die Entstehungszeit mit ihren Entwicklungstendenzen durchaus spüren. Gegenüber dieser etwas radikaleren Tonsprache wirken die „Puccini-Stellen“ mitunter etwas plakativ, die Dur-Apotheose besitzt sogar fast Show-Charakter. Aber Menottis Musik wirkt durchgehend ehrlich, erfühlt und bewirkt beim Zuhörer emotionale Beteiligung. In Mönchengladbach dankt man diese Wirkung wesentlich auch den bestens disponierten Niederrheinischen Sinfonikern unter dem anfeuernden spanischen Dirigenten Diego Martin-Etxebarria.

Die Inszenierung hat man Katja Bening übertragen, seit 2011/12 Regieassistentin und Abendspielleiterin am Haus. Der Konsul ist ihre erste „große“ Arbeit vor Ort (nach Tom Johnsons Vier-Ton-Oper beim Opernstudio). Verständlichkeit, wie sie Menotti mit seiner Musik anstrebt, prägt auch ihre Regie. Sie verzichtet auf vordergründige Zeitbezüge, lässt das humane Potential der Oper voll zur Wirkung kommen; die Personenführung wirkt in jedem Moment plausibel. Leichte Einwände könnte man eventuell gegen die Ausstattung von Udo Hesse erheben. Das Haus der Sorels wird von hellem Holz beherrscht, nicht unbedingt das triftige Ambiente für ein Geschehen in dunkler Zeit. Und teilweise um Grade zu partymäßig kostümiert wirken die Besucher des Konsulats. Diese sind, mit durchgehend überzeugenden Leistungen Debra Hays (Italienerin), Gabriela Kuhn (Anna Gomez), Hayk Dèinyan (Herr Kofner), Markus Heinrich (als hochvirtuoser Zauberer Nika Magadoff) sowie Agnes Thorsteins (Vera Boronel) und Shinyoung Yeo (Assan) aus dem Opernstudio. Den abstoßenden Polizeiagenten prägt Matthias Wippich mit seinem kantigen Bass konturengenau.

Die Protagonisten: Janet Bartolova (Sekretärin) ist als kühle Blonde eine rollenangemessene Erscheinung, aber ihrer Stimme fehlt etwas die Kühle und Schärfe, welche dieser von Indolenz geprägte Beruf so langfristig bewirkt haben müsste (ein späterer Monolog hält freilich auch den Zwiespalt der Figur fest). Als Mutter wirkt Satik Tumyan rundum überzeugend, Andrew Nolens kraftvollem Bariton und seinem vitalem Spiel glaubt man den Empörer John Sorel. Und dann ist da Izabela Matula als Magda mit ihrem leuchtkräftigen, expansiven, in allen Lagen gleich gut klingenden Sopran. Eine neuerlich exzeptionelle Leistung. Hoffentlich wird man diese Künstlerin noch lange im Ensemble halten können.