Wo die wilden Kerle wohnen im Theater Duisburg

Wenn das Chaos regiert…

Es ist ein Erfolgsstück. Seit der Uraufführung (Brüssel 1980) feiert die Kinderoper Wo die wilden Kerle wohnen (Text und Buchvorlage von Maurice Sendak) eine lustig-temperamentvolle Aufführung nach der anderen. So auch jetzt an der Deutschen Oper am Rhein in Duisburg. Mucksmäuschenstill war es im Großen Haus, wo Zehn- bis Zwölfjährige die Reihen dicht füllten. Sie hatten großen Spaß – und wohl auch ein wenig Bauchgrimmen angesichts der lebhaften Traum- und Nachtfantasien von „Held“ Max, der das idyllische englische Privathaus mit Mama, Oma und Onkel ins totale Chaos stürzt. Und das alles nur, weil er wegen einer Respektlosigkeit in sein Zimmer gesperrt wird und das Abendessen nicht im Kreis der Familie genießen darf. Max gerät in einen brisanten Tobsuchtsanfall – und da stellen sich schon die mysteriösen Fantasiefiguren mit Ziege, Affe, Bulle und Fledermaus usw. ein. Wände, Türen, Fenster, Kisten werden durchlässig –alles ist Theater und Spiel. Die animalischen Gäste toben so „wild“ daher, dass es Max bald zuviel wird. Er sehnt sich nach dem Alltag und der Normalität zurück – und freut sich, dass er auch wieder am Essen teilnehmen kann. Die Suppe, die ihm als Lieblingsspeise kredenzt wird, ist „ganz heiß“: Das sind die letzten Worte dieser modellhaften Tumult-Fantasie-Komödie, die auf der Bühne auf zwei Ebenen abläuft – oben das Kinderzimmer, unten der Wohn-Ess-Raum. Beide Orte bieten genug Raum für knallige Pointen und turbulentes Geschehen.

Knussen gelingt der Spagat, zeitgenössische und zeitgemäße Musik abzuliefern und dennoch niemanden mit der polternd-krachenden Partitur zu verschrecken. Sendak wiederum kommt mit nur 333 Wörtern in seinem Libretto aus. Die Geschichte erklärt sich von allein, da muss nicht noch ein Wer-weiß-was-Dialog eingeblendet werden…

An der DOR inszeniert Philipp Westerbarkei unkompliziert und direkt, richtig schön realistisch die Bilderbuchgeschichte, die das psychologische Geflecht um Angst und Spielfreude, Horror und Trivialität in 50 Minuten in Balance hält. Die Regie nutzt die Objekte, den Raum, die Gelegenheiten für eine kindernahe Story um den ewigen Konflikt zwischen Erwachsenen und Jugend, zwischen Erziehung und angelesener oder eingebildeter Fantasie. Die Bühne und die prachtvollen Kostüme (vor allem die der Tiergespenster) von Tatjana Ivschina spielen kauzig und komisch mit. Max´ Zimmer, eigentlich eine friedliche Kinderoase, wird zum Tummelplatz für das Fremde, Wilde, Irrationale. Er ist froh, als das erdachte exotische Abenteuer vorbei ist und er sich wieder im Kreis der vertrauten, vielleicht sogar langweiligen Familie wohlfühlen kann…

Diese Partie (Max) verlangt Lavinia Dames fast alles an vokalem Einsatz ab: Schreien, Knattern, Rasen, Toben, Ausrasten, Beherrschen, vor allem wirklichkeitsnah Spielen – und dann wieder mal „schön“ Singen. Die Sopranistin ist ein prima Fratz. Ihr schien diese Rolle auf den Leib geschrieben. Die Identifikation war nahezu perfekt. Man nahm der jungen, rebellischen Dame das kontrastreiche Spektrum der Emotionen und Traumphasen sofort ab. Da wirkte nichts gekünstelt. Für die anderen Partien gibt es nicht viel an musikalischen Mitteln. Sie müssen sich mit ihren Kostümen und Typen zufrieden geben. Das gelingt ohne angestrengtes Engagement.

Also: ein Spaß, eine Traumkomödie, ein Sehabenteuer, von dem jungen Dirigenten Jesse Wong mit Verve und explodierender Kraft (nur selten überzog er die Drastik) gesteuert. Den Duisburger Philharmoniker schien die Sache selbst auch Spaß zu machen. So fetzig klang das aus dem Graben…