Verhaltene Leidenschaft
In den Sog einer unlebbaren Liebe hineingezogen zu werden, die daraus resultierende Todessehnsucht des Paares zu spüren und mit allen Fasern nachvollziehen zu können - das soll im besten Falle passieren bei Richard Wagners Tristan und Isolde.
Michael Schulz beginnt seine Inszenierung einfach und klar. Kathrin-Susann Brose hat ein stilisiertes Schiff auf die Bühne gestellt. Unter Deck warten Isolde und Brangäne bang darauf, was die Zukunft ihnen bringen wird. Ängstliche Frauen in der Kabine, eine lärmende Schiffscrew darüber. So far, so good. Und dann die erste Begegnung des Hohen Paares: Isolde will Sühne, Tristan ist ohne Zögern bereit, den (vermeintlichen) Todeskelch zu leeren. Doch irgendwie ist nichts zwischen den Beiden zu spüren. Kein Funken von Emotion im Moment des (vermeintlichen) Abschieds voneinander blitzt auf. Isolde fordert eher gemessenen Schrittes ihren Anteil am Trank. Und dann erweist sich das Todes- als Liebeselixier. Aber von entfachtem Feuer ist keine Spur. Kniend wird sich keusch umarmt, ehe König Marke naht.
Und dieser Eindruck sedierter Emotionen setzt sich während des ganzen Abends fort: Leidenschaft füreinander, die auch über den Tod andauern könnte, nimmt man den Protagonisten einfach nicht ab.
Großartig beginnt der zweite Akt. Brangäne mahnt auf schwarzer Bühne zur Vorsicht. Eine einzige Leuchtquelle (die „Zünde“) hängt vom Schnürboden herab, pendelt später hin und her. Isolde, beseelt von der Vorfreude auf ein Treffen mit ihrem Geliebten, dreht sie aus der Fassung. Ein absolut treffendes Bild. Und was passiert dann? Tristan und Isolde irren auf einer Drehbühne durch Türen und Spiegel, sehen die Kinder, die sie nie haben werden und halten sich an den Händen. Am Ende überraschen Markes Mannen ein Double-Liebespaar, das sich in einem Schaukasten vergnügt – wie einst in „Nachts im Museum“. Seien wir ehrlich – auch mit Sängern, die mit darstellerischen Fähigkeiten eher nicht besonders gesegnet sind, ließen sich knisternde Erotik und auch Liebe bis in den Tod sicher besser verdeutlichen.
Auch im dritten Akt lässt Schulz kein klares Regiekonzept erkennen. Im Hintergrund ein gefächertes weißes Tuch, fast bis vorn an den Bühnenrand gespannt, befindet sich in der Mitte der Bühne eine schwarze Säule ohne Funktion. Das Ganze weitgehend verdeckt von einem schwarzen, sich horizontal bewegenden Vorhang mit einer Aussparung. Das ist unter ästhetischen Gesichtspunkten durchaus schön anzusehen - einen wirklichen Sinn ergibt diese Bühne jedoch nicht.
Tristan wankt mit blutigem Hemd hin und her und Kurwenal deutet mit eher linkischen Gesten mal auf Tristan, mal in Richtung der heran nahenden Schiffe. Und der Liebestod? Isolde singt ihn, dreht sich um und geht in den Bühnenhintergrund. Das klingt sehr nüchtern, aber genauso wirkt es auch.
Nein, Michael Schulz schafft es nicht, sein Publikum wirklich atemlos in die Theatersessel zu drücken. Das gelingt auch den Akteuren auf der Bühne nur bedingt - Philipp Ens legt seinen König Marke weniger nobel und tief enttäuscht an, gibt ihn mit einer Portion Larmoyanz eher die Attitüde eines gebrochenen alten Mannes. Urban Malmbergs Kurwenal ist geradeheraus gesungen, ein Gefolgsmann, wie ihn sich jeder Ritter nur wünschen kann. Einer, der nichts hinterfragt und Gefühle hinter dem unbedingten Treuewillen zurückstellt. Da geht es Brangäne schon anders. Almuth Herbst beglaubigt mit einem tadellosen Rollenportrait und stimmlich absolut souverän deren Sorgen um die Herrin und den Zweifel am eigenen Tun.
Torsten Kerl gebricht es nicht an Kraft und Standing für den Tristan, doch lässt sein Monolog im dritten Aufzug ein wenig an Differenziertheit vermissen, kommt etwas einförmig daher, dabei klanglich näselnd, was anfangs störend wirkt, woran man sich aber mehr und mehr gewöhnt. Die Wagner-erprobte Catherine Foster taucht tief in ihre Rolle hinein, wenn auch nicht bis ins Letzte: „Unbewusst – höchste Lust“ – auf eine Reise zu den Sternen vermochte sie ihre Zuhörer in ihrem großartigen Schluss-Monolog nicht mitzunehmen. Kerl und Foster: zwei unzweifelhaft hervorragende Sängern, die dieses Mal nicht zu einer unauflöslichen Einheit verschmelzen.
Für die Neue Philharmonie Westfalen unter ihrem Dirigenten Rasmus Baumann ist Wagner eher ein Sonderfall. Denn das Oeuvre des Bayreuther Meisters gehört keineswegs zum Kernrepertoire des Orchesters. Gleichwohl gelingt es Baumann, Spannung aufzubauen, mitunter sogar etwas zu viel und zu intensiv, was sich in krachenden Fortissimi äußert. Auf der anderen Seite macht sich durchaus intime Stimmung breit dank zarter, delikat in Szene gesetzter Farben. Tadellos die Herren des Opern- und Extrachores...
Der Premierenjubel ist enorm, vor allem für die vokalen Hauptrollen. Das Regieteam erntet ein paar Buhs, aber noch mehr Bravi!