Szenen einer Pubertät
Trotz Sozialstunden und Heimunterbringung: Diese Sommerwoche hat sich gelohnt. Maik und Tschick sind nach einer Tour mit einem geklauten Lada durch die ostdeutsche „Walachei“ dem Erwachsenwerden ein ganzes Stück näher gekommen. Die Begegnungen mit diversen, manchmal auch skurrilen Menschen lässt sie die Welt der Erwachsenen besser verstehen.
Und sie können auch ihre Außenseiterrollen einordnen: Maik hat keine Freunde, sein Vater ist trotz Villa mit Pool pleite und will gerade seine Familie verlassen. Seine Mutter hat Alkoholprobleme und fährt statt auf die Beauty-Farm in den Entzug. Freunde hat der Russlanddeutsche Tschick auch nicht. Ein Außenseiter, der sich durch das Bildungssystem immerhin bis auf das Gymnasium vorgekämpft hat.
Wolfgang Herrndorfs Tschick steht mittlerweile in Robert Koalls Bühnenfassung auf vielen Theaterspielplänen. Und die ist wie der Roman selbstverständlich ein Erfolgsgarant. Das liegt daran, dass es Koall gelungen ist, Herrndorfs mit tiefer Empathie erzählter Geschichte von der Selbstfindung zweier Jungen perfekt dialogisch aufzubereiten und dieses wunderbare Pubertäts-Roadmovie szenisch umsetzbar zu machen.
Denn es geht doch vor allem um ein überaus verwirrendes, für die Protagonisten zutiefst verstörendes Emotions-Chaos zu beschreiben und nachempfindbar zu machen
Warum also nicht mit der Musik eine weitere Ebene ins Boot holen, um Tschick auszuleuchten? Das Theater Hagen jedenfalls beauftragte Ludger Vollmer, den Stoff zu „veropern“ –Vollmer, dessen Opern Gegen die Wand und Lola rennt schon erfolgreich auf dem Spielplan in Hagen standen.
Mit Tschick aber gelingt es Vollmer nicht, in den Kern von Herrndorfs Werk vorzustoßen. Zu sehr legt er den Fokus auf die unterschiedlichen sozialen Welten von Maik und Tschick, zu sehr auf die Ungerechtigkeit des Gerichtsurteils am Endes des Trips. Spöttisch werden die Öko-Familie Friedemann und Alt-Militarist Fricke portraitiert. Wichtiger wäre es doch gewesen, die Reaktion der Jungen auf diese Menschen auszuleuchten. Vollmer lässt es vor allem an Emotion und Poesie mangeln – jenen Komponenten, die doch Charme und Charakter dieses Roadmovies ausmachen.
Klar, Vollmers Musik ist vielfältig. Jazzig und rockig tönt’s, es gibt Break-Dance-Elemente und vollen Bläser-Sound. Aber eben auch viele Wiederholungen und nervig-monotone Chorpassagen. Deshalb können sich auch keine Momente von Zauber und Melancholie einstellen.
Die gelingt es auch Regisseur Roman Hovenbitzer und Ausstatter Jan Bammes nicht zu kreieren. Dabei gibt es durchaus Interessantes auf der Bühne zu entdecken. Toll anzusehen sind die detailreich gemalten Häuserkulissen, die vorbei ziehen, schön die Idee, eine riesige Hand auf offener Bühne eine Kraterlandschaft mit kleinen Sandhaufen und Zweigen modellieren zu lassen. Und wenn die Akteure auf Schaukeln ihre Freiheit spüren, dann ist das ein Augenblick, der das Wesen von Tschick trifft. Dem entgegen stehen dann aber auch plumpe Chorauftritte. Eine Demo mit inhaltlich derartig flachen Slogans, wie gleich zu Beginn zu sehen, gehört einfach nicht mehr auf eine Bühne.
Zu erleben ist aber eine rundherum erfreuliche Ensembleleistung. Alle Beteiligten sind mit großem Engagement dabei. Das gilt für die beiden jungen Break-Dancer und alle Darsteller der vielen kleinen Rollen. Homogen agiert Wolfgang Müller-Salows Chor als anonyme Masse. Andrew Finden (Maik) und Karl Huml (Tschick) singen prima, können sich jedoch darstellerisch nie in Vierzehnjährige verwandeln. Kristine Larissa Funkhauser punktet als Isa, mit jugendlicher Frische und einem gehörigen Schuss Anarchie .
Die Hagener Philharmoniker unter Florian Ludwig drehen, wo es angesagt ist, auch mal gehörig auf – warmer Applaus am Ende vom Premierenpublikum.