Der Dreck um die Herzogin
„Dirty Duchess“ nannte man die historische Herzogin von Argyll vor allem wegen ihres zweiten Scheidungsprozesses. Da wurde sie des Ehebruchs mit einer Unzahl von Männern schuldig gesprochen, belegt unter anderem durch Polaroid-Fotos, eine 1963 fast revolutionär neue Technik, die auf kaum legale Weise in die Hände des Gerichtes gerieten. Dass ihr Mann, der Herzog, sie auch ständig betrog, sie schlecht behandelte und zwang, ihre Stiefkinder quasi allein großzuziehen spielte keine Rolle. Durch das bizarre Gerichtsverfahren und ihre unbestreitbare Exzentrität – so trug sie stets eine dreifach um den Hals gelegte Perlenkette und trat stets in Begleitung mehrerer schwarzer Pudel auf, die alle Louie hießen – wurde Margret Whigham, Duchess of Argyll zu einer national bekannten Persönlichkeit.
Als der 24jährige Komponist Thomas Ades 1995 seine Oper zur Premiere brachte, war das immer noch so. Er konnte sich darauf verlassen, dass das Publikum die Geschichte, sogar die Geschichte hinter der Geschichte kennt. Das deutsche Publikum, zumal das heutige, kennt diese Geschichte nicht. Es ist auf die durchaus attraktive, fast streicherlose, von Harfen- und Akkordeonklängen durchsetzte und von Klarinetten und Saxophonen dominierte Musik angewiesen, die Justus Thorau und das Sinfonieorchester Aachen fast modellhaft leidenschaftlich und locker umsetzen. Und auf eine Inszenierung, die den Stoff für unsere Zeit aufschließt.
Die ist Ludger Engels grandios gelungen. Er verdoppelt die Figur der Herzogin mit der Schauspielerin Elisabeth Ebeling, die „ein bisschen wie eine zukünftige Seele“ über die Bühne weht, beobachtet, beisteht und Distanz hineinbringt. Dadurch wird die hin- und herspringende Zeitdramaturgie der Oper nivelliert. Engels zielt auf den Kern. Er zeigt die Einsamkeit der Herzogin – und einen gesellschaftlichen Prozess, in dem sie wegen ihrer fast krankhaften Sehnsucht nach körperlicher Zuwendung, wegen ihrer Schrullen und ihrer Ignoranz vielen Dingen des ‚normalen‘ Lebens gegenüber zum Opfer nationaler Verachtung wird. Moritz Junge hat dafür eine Drehbühne mit drei Gemächern gebaut, mit einem kleinen, eleganten Empfangszimmer, einer prächtigen, leicht verwahrlosten Hotelsuite und einem Zimmer in einer Absteige. Denn tatsächlich spielt ein Großteil der Handlung und vor allem ihr Rahmen im Hotel, in der Unbehaustheit. Drei Sänger sind Hotelmanager, Haushandwerker und Zimmermädchen – und alle anderen Rollen bis hin zum Richter. Und sie stehen für den aus allen gesellschaftlichen Schichten gebildeten Mob, der sich über die einsame Herzogin hermacht. Jelena Rakic, Patricio Arroyo und Bart Driessen machen das großartig, sind wandlungsfähig, spielen aber keine kleinteiligen Rollen, wechseln nur Identitäten und gleiten bewunderungswürdig leichtfüßig durch diese so tänzerische wie komplexe Partitur. Tatsächlich verordnet ihnen Ludger Engels sogar immer wieder Tanzbewegungen, um das Zuschauer-Ohr auf die Feinheiten der Musik zu lenken und auch das machen die drei großartig. Im Zentrum steht Eva Bernard als Duchess mit hochgelagertem Sopran, der Koloratur kann und Fundament hat wie Kraft für dramatische Ausbrüche, der schön und individuell klingt und technisch sauber und ganz uneitel geführt wird. Und ihre Darstellung nimmt ein für den bizarren Charakter der Duchess. Ihr Schicksal geht einem ans Herz.