Hoffmanns Erzählungen für Kinder im Köln, Oper

Inspiriert, lebendig, vorbildlich

Seit 1996 besteht die Kölner Kinderoper. Gespielt wurde zunächst im Foyer des ersten Stockes im Opernhaus am Offenbach-Platz, dann siedelte man in das sogenannte „Pfandhaus“ in der Südstadt um, für den Berichterstatter immer noch das trefflichste Ambiente. Eine spezielle, besonders anspruchsvolle Produktion (Philip Glass Les enfants terribles) fand in der Studiobühne der Universität statt. Ein exklusives, unterirdisches Theaterchen für Kinder ist am Offenbach-Platz geplant, wann immer auch diese Zukunft Realität wird. Im Moment hat die komplette Oper ihr Ausweichquartier ja im Staatenhaus am Messegelände, wie schon häufiger angemerkt.

Noch ist Jubiläumsjahr für die Kinderoper, und so griff man jetzt ganz hoch: Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach, Sohn der Stadt Köln. Empfohlen wird die eigens erstellte Version des Werkes für Kinder ab acht Jahren. Ein leichter Zweifel sei erlaubt, ob dieses Alter nicht etwas zu niedrig angesetzt ist. Aufklärung ergäbe wohl eine Umfrage unter den adoleszenten Zuschauern, auch, ob die (recht dunklen) Übertitel hilfreich sind. Andererseits gab es einen neuen Comic-Wettbewerb für Jugendliche zwischen zwölf und zwanzig mit der Aufgabenstellung, die Handlung der Offenbach-Oper in Bildern und Texten festzuhalten. Gewonnen hat eine Sechzehnjährige, die weiteren Preisträger waren drei Jahre jünger bzw. älter, von Achtjährigen also um Einiges entfernt.

Angemessen war die Entscheidung, das Werk nicht als albtraumhafte Selbstfindung des Titelhelden zu interpretieren, sondern die Geschehnisse psychologisch zu vereinfachen. Hoffmann ist nunmehr ein Autor, welchem die Ideen ausbleiben - Schreibblockade nennt man das. Da erscheint ihm die „Muse der Dichtung“ (das Niklausse-Pendant fehlt), um ihm ein wenig die Sporen zu geben. Sie führt ihren Schützling ins Reich der Träume, die so manche Geheimnisse, aber auch heilende Kräfte besitzen.

In Köln ändern sich auch einige andere Rollennamen. Olympia und Antonia bleiben, aber aus Giulietta wird eine „Zauberin“, aus Coppelius/Mirakel/Dappertutto ein „Phantom“. Von Antonias Mutter ist nicht mehr die Rede, nur noch vom Wahn des Ruhms. Im „Venedig-Akt“ wird das Geschehen um das verlorene Spiegelbild zwar optisch effektvoll angedeutet, doch wirklich nachvollziehbar wird der in diesem Bild kulminierende Verfall Hoffmanns, sein Niedergang, erst durch das Köpfen einer Alter-Ego-Puppe.

Puppen gehören zum, festen, belebenden Inventar der Inszenierung von Kai Anne Schumacher. Da hat sich die junge Regisseurin offenkundig durch ihren Kollegen Moritz Sostmann vom Schauspiel inspirieren lassen. Die Puppen sorgen für optisch skurrile Wirkungen, weiterhin für Doppelbödigkeit bzw. Doppelgesichtigkeit im wahrsten Sinne des Wortes. Ob tiefere szenische Sinnhinweise wirklich von allen Kindern in Gänze erfasst werden, bleibe einmal offen. Unsicher ist auch, ob die vielen schönen Einfälle des Bühnenbildners Julius Theodor Semmelmann bei den jungen Zuschauer auch wirklich „ankommen“, wie etwa die vom Bühnenboden herabstürzenden „Leitern“, welche sich als Partiturlinien entpuppen, in welche dann Noten gesteckt werden. Unmittelbare Wirkung machen hingegen die malerischen bis überkandidelten Kostüme von Valerie Hirschmann, so das von innen leuchtende Kleid der „Zauberin“ oder die „Paket“einkleidung von Diener Frantz.

All diese zauberhaften Details der (sicher nicht ganz billigen) Inszenierung sind in verbaler Beschreibung kaum angemessen zu würdigen - man muss sie einfach sehen. Kai Anne Schumacher ist für ihre neuerliche Arbeit (nach der faszinierenden Britten-Deutung von The Rape of Lucretia) ein außerordentliches Kompliment zu machen. So wie aus dem Opernstudio eine Reihe exzellenter Sänger hervorgegangen sind, die z.T. ins Kölner Ensemble hinein wuchsen (eine aktuelle Festschrift weist das nach), sollte der jungen Regisseurin demnächst einmal die Chance gegeben werden, sich auch auf der „großen“ Bühnen zu bewähren.

Der Kinderoper-Hoffmann dauert 75 Minuten, also weniger als die Hälfte der originalen Werkgestalt, die ja allerdings noch immer diskutiert wird. An einigen Komprimierungen und Nahtstellen werden sich Kenner der Oper vielleicht reiben, doch sind diese sind nicht primäre Adressaten der Aufführung. In jedem Falle ist der Bearbeitung zu anerkennend bestätigen, dass sie ein äußerst wirksames und musikalisch stimmiges Konglomerat darstellt. Nummernfunde aus jüngerer Zeit sind ebenso berücksichtigt wie die als Fremdkörper inzwischen meist verworfene „Spiegelarie“. Die Barcarole wird bereits sehr früh, noch vor dem Olympia-Bild zitiert; es erfreut, dass auch die Moll-Einschübe des Finales berücksichtigt werden. Chorische Passagen werden geschickt solistisch abgedeckt. Unter Rainer Mühlbach (zusammen mit der Regisseurin und Ralf Soiron für die Bearbeitung verantwortlich) bietet das klein besetzte Gürzenich-Orchester einen Offenbach-würdigen Sound. Ob das Werk im Offenbach-Jahr 2019 auch in seiner Originalgestalt eine Chance erhält? Nachdem die Kinderopern-Produktion aber so heftig bejubelt wurde, lieber der Vorschlag: Wiederaufnahme dieser exzellenten Aufführung und Neuinszenierung eines unbekannteren Werkes, etwa des jüngst mehrfach wiederbelebten Fantasio.

Bis auf Susanne Niebling (Muse II, Wissenschaftler, Gesichtsloser) und Netta Or (welche alle drei Frauenpartien erstmals 2015 in Bonn verkörperte und jetzt als karrierewilde Antonia überzeugt) sind alle Sänger dem Kölner Opernstudio angehörig. Welch ein Stimmenpotential! Zunächst muss Insik Choi genannt werden, welcher mit Puccinis Marcello bereits auf der der „großen“ Opernbühne eine zentrale Aufgabe hatte. Vokale Virilität (Höhe), Wortdeutlichkeit und darstellerische Punktgenauigkeit: der junge Sänger steigert sich zusehends. Mit seinem schönen, geschmeidigen Tenor und gleichfalls intensivem Bühnenspiel punktet Dino Lüthy als Hoffmann. Als Olympia glänzt Maria Kublashvili mit koloraturbeweglichem Stratosphären-Sopran. Sehr überzeugend Sara Jo Benoot (Muse der Dichtkunst), Maria Isabel Segarra (Zauberin) und Julian Schulzki (Spalanzani, Crespel). Ein Sonderlob für das köstlich gemeisterte Frantz-Couplet von Young Woo Kim (auch Cochenille).

 Mit Offenbachs musikalisch so tröstlichem Finale endet auch die Kinderoper-Aufführung. Kein betrunkener Dichter, welcher von der Muse mühsam aufgerappelt werden muss. Probleme wurden von den Träumen ins Positive gelenkt - eine kindergerechte Botschaft. Und dem bösen „Phantom“ wird einfach ein Bein gestellt.

Die Aufführung möchte man sich sofort ein zweites oder auch drittes Mal ansehen. Glückseliger Tagesausklang für den Rezensenten: Wiederausstrahlung der Aufzeichnung von Michael Hanekes Madrider „Cosi im Fernsehen, absoluter Glücksfall einer inspirierten, psychologisch intelligent steuernden, dabei intellektuell völlig unverquasten Inszenierung.