Von der Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Imagination
Sie ist kein unschuldiges Kind, kein „reines Mägdelein“. Diese Elsa von Brabant weiß ihre Reize einzusetzen. Angeklagt des Brudermordes schäkert sie unverhohlen mit ihren Richtern. Keck streicht sie König Heinrich über die Wange – was diesen sichtlich irritiert. Mit diesem sehr erfrischenden Einstieg beginnt Robert Lehmeier seinen Lohengrin. Und der begründet auch den wichtigsten Aspekt seiner Deutung. Denn wenn diese lebenssprühende, sinnliche Elsa real auf ihre Traumgestalt, den hehren Ritter trifft, kann das natürlich nicht gut gehen. Denn dieser Lohengrin ist eine völlig aseptische Gestalt. Er ist der Reine, der Unschuldige. Zum optischen Beweis hat ihn Ingeborg Bernerth in einen silbernen, völlig asexuellen Anzug gesteckt, der an die ersten Serienfolgen von „Star Treck“ erinnert. Elsas Traum zerplatzt. Er zerbricht an der Realität. Kein Wunder, dass es nach der Hochzeit kein Annähern, keine Berührung gibt. Und da bedarf es auch der Einflüsterungen ihrer Widersacherin Ortrud nicht. Wahrscheinlich stellt Elsa die verbotene Frage, um sich selbst zu befreien aus ihren Vorstellungen, die der Realität nicht standhalten. Wie tief kann die Kluft zwischen Wunsch doch sein. Das ist ein spannender Ansatz, den Lehmeier präsentiert, überraschend und konsequent durchdacht.
Aber diese perfekte Paar-Analyse reicht leider nicht für eine lange Wagner-Oper. Zumal Lehmeier in seiner Deutung nicht die gleiche Sorgfalt auf das Antagonisten-Paar Ortrud und Telramund verwendet. Stattdessen setzt er auf modernistische Elemente. Tom Musch setzt einen ovalen Konferenztisch auf die Bühne, an dem Herren in Flecktarn über kommende Kriegsaktivitäten beraten. Diese Aktualität wird optisch behauptet, aber leider nicht untermauert. Und so fehlt es Lehmeiers Lohengrin über die Dauer an Tiefe.
Musikalisch überstrahlt Izabela Matula diese Produktion. Ihre Elsa sprüht vor Vitalität. Sie singt technisch perfekt mit strahlenden, grundierten Höhen und ist in ihrer Rollengestaltung absolut glaubwürdig. Das gilt auch für Eva Maria Günschmann. Ihre Ortrud ist ein Portrait einer kalkulierenden Machtpolitikerin, die ihre Ambitionen in den Vordergrund stellt und persönliche Beweggründe zurückzustellen weiß. Ihre fahlen Höhen betonen diese Charakterzeichnung.
Vivat den Damen, denn die Herren der Schöpfung stehen ihnen an Expressivität deutlich zurück. Johannes Schwärskys Telramund ist ein Wagnis für diese Stimme, die in den tiefen Lagen perfekt sitzt, aber der es in den Höhen an Flexibilität gebricht und einen von Zweifel an seinen Handlungen geplagten brabantischen Adligen nur schwer nach vollziehen lässt. Peter Wedd fügt sich hervorragend in das Regiekonzept ein und ist ein höhensicherer, schlanker Lohengrin, der Traumgestalt bleibt und menschliche Leidenschaft vermissen lässt. Wenig eindrücklich bleiben Matthias Wippich als König Heinrich und Rafael Bruck als Heerrufer.
Maria Benyumovas Chöre klingen sehr homogen im Krefelder Theater, das mit seiner Akustik, die ob ihrer Durchhörbarkeit durchaus Fallstricke bereit hält. In die tappt Mihkel Kütson mit den Niederrheinischen Symphonikern manchmal hinein. Er schlägt schnelle Tempi an, die dennoch manch „Geklappere“ nicht zu überdecken vermögen: Aber das wird sich sicher in den nächsten Vorstellungen glätten. Die Koordination zwischen Bühne und Graben klappt bei der Premiere jedenfalls hervorragend. Das Publikum goutiert einen Lohengrin, der vor allem als Momentaufnahme wirkt.