Publikum in Euphorie
Allrounder Rolando Villazón gilt als Magnet, und in der Tat ist der Mexikaner ein Tausendsassa, welcher von sich sagt „Ich liebe es, ein Clown zu sein, das macht frei“, so jedenfalls bei der Präsentation seines Buches „Lebenskünstler“ (!) kürzlich in Köln. Lebenskunst, das mag auch für seine Karriere gelten, wo es mit dem Singen nicht mehr so recht läuft, die sich mit anderen Aktivitäten aber offensichtlich durchaus erfolgreich stabilisieren lässt. Zu diesen Aktivitäten gehört bei Villazón auch das Regieführen, wobei er es keineswegs bei populären Werken belässt, wie vor einiger Zeit Puccinis Rondine in Graz demonstriert.
Künstlerische Lebensläufe dieser Art sind gar nicht so selten. Man denke nur an Brigitte Fassbaender, die in ihrem Après-Beruf mit Spitzenleistungen aufwartet. Der ehemalige Tenor Kobie van Rensburg hat mit witzigen Video-Spielen sogar eine besonders individuelle Handschrift entwickelt (nächste Spielzeit eine neue Produktion in Krefeld/Mönchengladbach). Auch Erich Witte war nach seiner Sängerkarriere Regisseur, ein Hans Hotter verwaltete zumindest Regienachlässe. Einzelne Versuche gab es bei Maria Callas, Lotte Lehmann oder auch Frida Leider. Villazóns Don Pasquale in Düsseldorf (Koproduktion mit Volksoper Wien) sollte man also ganz sachlich und ohne Vorurteile ins Auge fassen.
Die euphorische Publikumsstimmung in der besuchten zweiten Aufführung glich jener in der Premiere, wenn der häufig nachgedruckten dpa-Rezension zu glauben ist. Einige Zuschauer beömmelten sich regelrecht, wobei für die manchmal etwas nervenden Lacher nicht wenig auch die leicht modernisierten Übertitel sorgten. Es war deutlich zu bemerken, wie sich viele Gesichter ständig gen Himmel richteten. Nichts gegen Spaß an der Freud‘, aber mitunter schien es doch, als ob die Opernaufführung zu sehr mit einer Fernsehshow verwechselt wurde.
Dass sich eine Inszenierung von einem unter Umständen etwas vergilbten Ambiente absetzen möchte, ist unbedingt zu begrüßen. Bestimmte Vorgänge in Don Pasquale wie die „anonyme“ Heirat gehören indes zu den traditionellen Buffo-Klischees. Wenn man sie unangetastet lässt, wird zwangsläufig der Vorwurf des Musealen aufkommen. Aber Villazón vermag seinen Ort- und Zeittransfer (Paris, siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts) psychologisch nicht immer stimmig in seine Arbeit zu integrieren. Vieles wirkt aufgesetzt und als Fremdkörper.
Der Interpretationsansatz beruht freilich auf einer wirklich starken Grundidee. Pasquale ist bei Villazón ein schöngeistiger Einsiedler, der sich trotz sozialer Kontakte vor der Welt verbarrikadiert hinter barocken Gemälden. Sein Heim ist ein riesiges Museum, welches Johannes Leiacker als eine zwar noble, aber auch reichlich kalte Halle auf die Bühne gestellt hat, mit Polstermobiliar immerhin wohnlich gemacht. Irgendwo im Keller haust Pasquales Neffe Ernesto, welcher seinen ersten Auftritt durch eine Bodenluke absolviert und als „junger Wilder“ mit zerrissener, beschmierter Arbeitskleidung (Kostüme: Thibault Vancraenenbroeck) zeigt, dass seine eigene Malertätigkeit gänzlich anderer Art ist. Er pflegt zudem, wie sich später zeigt, Umgang mit somnambulen Hippies und Krishna-Jüngern (zu ihnen gehört der von Daniel Djambazian genüsslich dargestellte Notar). Es prallen zwei kaum in Einklang zu bringende Welten aufeinander. Villazón strebt mit seiner Regie gleichwohl nach Versöhnlichkeit. Im Finale zeigt sich der Chor (Gerhard Michalski) als heiter friedvolle Gemeinschaft von Mona Lisas und Andy Warhols.
Diese Idee ist grundsätzlich zauberhaft, müsste freilich inszenatorisch stärker beglaubigt werden. Villazóns Arbeit verheddert sich jedoch immer wieder in der Klamotte (u.a. bei Pasquales Dienerschaft) Die hinzu erfundenen Figuren eines akrobatischen Kunsträubers, einer liebestollen Galeristin und anderer schräger Figuren reizen sicher vorübergehend die Lachmuskeln, erzeugen jedoch wenig Sinntiefe - und die darf man auch bei einer Buffooper erwarten, zumindest partiell. Auch musikalisch gerät der Abend nicht schlackenlos (zur Erinnerung: es handelt sich um die zweite Aufführung). Eine rhythmisch derart zerlumpte und im Zusammenspiel außer Kontrolle geratene Ouvertüre hat ausgesprochenen Seltenheitswert (Dirigent: Nicholas Carter). In den Premierenkritiken war über ein vergleichbares Unglück freilich nicht zu lesen. Später mehr Disziplin, aber nur bedingt Charme und Pikanterie.
Von den Sängern ist Mario Cassi hervorzuheben. Er sprang in der Premiere unter geradezu dramatischen Umständen für einen erkrankten Kollegen als Malatesta ein. In der besuchten Aufführung war nirgends zu merken, dass er sich die vielen gestischen Details der Inszenierung kurzfristig zu eigen machen musste. Mit seinem virilen Bariton gab er seine (freilich anderswo schon häufig gesungene) Partie in jeder Hinsicht souverän und wirkte ausgesprochen spielfreudig.
Lucio Gallo in der Titelrolle passt sich der Inszenierung gleichfalls mit komödiantischer Überlegenheit an, zeigt mit seiner kraftvollen Stimme aber auch, dass gekonnte sängerische Valeurs inszenatorischen Ambitionen ohne weiteres den Rang streitig machen können. Der 27jährige Rumäne Ioan Hotea verfügt über einen nicht gerade weich oder schmeichlerisch zu nennenden Tenor, aber an die leichten Schärfen seiner Stimme gewöhnt man sich zunehmend. Ständchen und Duett mit Norina geraten lyrisch empfindsam und wirklich klangschön. Die spanische Sopranistin Elena Sancho Pereg scheint an der Rheinoper ein Publikumsliebling geworden zu sein. Wie auch anders bei ihren glasklaren Koloraturen, topsicheren Höhen und raffinierter Vokalgestaltung. Dass sie als Norina auch eine modellhafte Bühnenerscheinung präsentiert (einmal in einem geradezu augenverwirrenden Glitzerkleid) lässt unschwer nachvollziehen, dass bei Pasquale die Hormone in Wallung geraten.