Im Spiegelkabinett
Die letzte Kölner Figaro-Produktion liegt gerade mal fünf Jahre zurück. Wahrlich nichts gegen den göttlichen Mozart, aber wenigstens einen Dezenniumsabstand sollte man auch bei populären Werke einhalten. Dessen Halbierung gab es freilich bereits im Vorjahr bei Don Giovanni. Es war aber wohl ein Wunsch des Gürzenich-GMD François-Xavier Roth, sich im Bereich der Oper mit Mozart zu profilieren, nachdem er sich zunächst mit Benvenuto Cellini und Ravel-Einaktern ausgesprochenen Raritäten zugewandt hatte und in der nächsten Spielzeit Debüt-Dirigate mit Tannhäuser und Zimmermanns Soldaten gibt.
Dass Roth für Mozart glüht, war bei der Figaro-Premiere unschwer zu erkennen. Mit ausdrucksreicher Gestik und Sprung-auf bei emotionalen Höhepunkten gab er der Musik minutiöse, klar formulierende Klanggestalt, bot nachgerade eine Inszenierung in Noten, wobei auch viele bislang verborgen gebliebene Nebenstimmen und Instrumentalfarben hörbar wurden. Roths Dirigat war eine einzige Liebeserklärung an den Komponisten. Nicht unterschlagen sei in diesem Zusammenhang die lebendige Rezitativbegleitung von Theresia Renelt am Hammerflügel.
Mit ihrer eigenwilligen Giovanni-Inszenierung hat Emmanuelle Bastet nur sehr bedingt überzeugend können. Der Figaro ist auch nicht gerade als Regieerfüllung zu bezeichnen. Dass im Spielprovisorium „Staatenhaus“ Bühnenbauten oft an Grenzen stoßen, nimmt man mittlerweile hin, aber die großen, mit Pflanzenmotiven tapezierten Flachwände von Tim Northam, samt Kostümen ästhetisch irgendwo in den vergangenen Fünfzigern verankert, bersten nicht gerade vor architektonischer Fantasie. Mit den vielen verspiegelten Türen freundet sich das Auge ebenfalls nicht widerstandslos an. Wenn sie, zuletzt aus ihrer Verankerung gelöst, Versatzstücke für das Liebesverwirrspiel im nächtlichen Garten abgeben, findet das individuelle Bühnen-Outfit dann aber doch noch zu starker Wirkung.
Die Regisseurin sorgt für szenische Lebendigkeit, die Beziehungen zwischen den handelnden Personen sind sauber und akkurat ausgearbeitet, ohne mit neuen, psychologisch erhellenden Einsichten aufzuwarten. Ungewohnt ist freilich, dass die Beziehung des Grafenehepaares immer noch Momente von erotischer Intensität aufweist. Auch die Figur des Cherubino gewinnt sympathische Kontur, was freilich auch der überragenden Regina Richter zu danken ist. Seit ihrer Zugehörigkeit zum Kölner Ensemble (ab 2002/03) hat sie nicht zuletzt in Hosenrollen wie Hänsel oder auch Komponist immer wieder entzückt und wirkt als Cherubino nach wie vor jugendlich frisch und liebenswert pubertär, bei klarer, höhenlockerer Mezzostimme.
Dass Mozarts Page im theatralisch heiter genommenen Finale verzweifelt zusammenbricht, ist ein nicht ganz nachvollziehbarer Regieakzent. Vorher gibt es in der Inszenierung zudem manch Überflüssiges, Überdeutliches. Was während der Ouvertüre so alles im Schlossflur vonstatten geht (etwa zigarettenrauchende Dienstmädchen), bringt nichts, lenkt nur von der Musik ab. Das „Non più andrai“ mit Krieg-Videos zu visualisieren, ist eine besonders schizophrene Idee. Auch verdrießen einige plakative Silhouettenspiele und das nach vorne offene Kleiderkabinett bei der Gräfin, in dem nun zwangsläufig ständige Aktion stattfinden muss.
Neben Regina Richter profilieren sich bei den Sängern vor allem Bo Skovhus als heißblütiger, markant artikulierender Graf (leichte Schwierigkeiten bei Trillern und Koloraturen in „Hai già vinta la causa“) und John Heuzenroeder mit klar konturiertem Tenor als kaltschnäuziges Ekelpaket Basilio. Entzückend wirkt Emily Hindrichs als sopranklare, charmante Susanna. Aus dem vorjährigen Giovanni-Ensemble sind jetzt wieder dabei Andreea Soare als zunächst etwas kühle, dann aber gesanglich aufblühende Gräfin und der ebenfalls mehr und mehr auftrumpfende, darstellerisch ohnehin mitreißende Robert Gleadow als Figaro.
Kismara Pessatti ist eine zunächst angemessen zickige, dann aber mütterlich einlullende Marcellina, neben der Paolo Battaglia als Bartolo einigermaßen verblasst. Der Kölner Reinhard Dorn gehörte in den Jahren um 1990 zum Ensemble des Opernhauses. Ihn nach seinem Benoit (La Bohème) nun auch als plotschigem Antonio wiederzubegegnen, macht Freude. Alexander Fedin verkörperte den Don Curzio bereits vor fünf Jahren, ob auch damals so anonym, ist nicht mehr erinnerlich. Maria Isabel Segarra aus dem Opernstudio gibt hingegen eine sehr quirlige Barbarina.