Übrigens …

Das Lied der Frauen vom Fluss im Köln, Oper

Nah dran

Mit dem katalanischen Performance-Kollektiv „La Fura dels Baus“ verbindet man in erster Linie großformatige, zirzensische Theaterspektakel. Ihr Opern-Coming out hatten sie 2004 an keinem geringeren Platz als der Salzburger Felsenreitschule (mit Berlioz‘ La Damnation de Faust), europaweit bekannt wurden sie durch die Fernsehübertragung des berühmten Ring des Nibelungen aus Valencia. In Köln genießt die Gruppe seit der Produktion von Stockhausens Sonntag aus Licht (2010) besonderes Ansehen, obwohl die Nachfolgeproduktionen „Parsifal (2013) und Benvenuto Cellini (2015) das Publikum durchaus spalteten. In der Regel ordnet nämlich „La Fura“ vor allem ihre über Jahre erarbeiteten Theatermittel optisch wirkungsvoll und auf den jeweiligen Kontext des Stückes bezogen neu an. Eine Interpretation im engeren Sinne wird nicht angeboten.

So interessierte an der aus verschiedensten Gründen mehrfach verschobenen Ur- beziehungsweise Erstaufführung (das koproduzierende Theater Luzern zeigte die Aufführung bereits vor zwei Jahren) Das Lied der Frauen vom Fluss vor allem zweierlei. Wie würde „La Fura“ es bei einem selbst designeten Stück mit der Erzählung und Interpretation halten? Und wie liegt den katalanischen Künstlern die kleine Form? Fand die Aufführung doch im Staatenhaus 3 statt, einem Saal, der aus sicherheitstechnischen Gründen nur für 250 Zuschauer zugelassen ist.

Zunächst eine Überraschung. Regisseur Carlus Padrissa und sein Team beschränken sich keinesfalls auf ein zirzensisches, prall sinnliches Spektakel. Trotz versprühter Duftaromen, charmant servierter Gaumenkitzeleien und gar Liebkosung einzelner Zuschauer mit weißen Federn will „La Fura“ hier bedeuten. Der aus heutiger Sicht beleuchtete Faust-Mythos steht im Zentrum des Abends. Marc Rosich hat einen mephistoloses Libretto verfasst. Nach einem Selbstmordversuch sucht Faust sein Heil in der schrankenlosen Befriedigung seiner Bedürfnisse und Gelüste. Er taucht ein in die virtuelle Welt, verschafft sich den Körper einer jungen Frau und huldigt diesem und seiner Schönheit fanatisch. Bis auch er den Weg allen Fleisches gehen muss.

Diese nicht sehr komplexe Geschichte wird allenfalls rudimentär erzählt, dazu mit vielen Umwegen. Was zählt, ist, wie stets bei „La Fura“, der Augenblick. Etwa wenn Claudia Rohrbach, teilweise waagerecht in der Luft liegend, mit faszinierenden Stimmfarben eine Digest-Version von Rusalkas „Lied an den Mond“ singt. Oder wenn Maria Kublashvili während einer stimmigen Interpretation von Semeles „Endless Pleasure“ in einer Art Zentrifuge immer wieder von den Füßen auf den Kopf gedreht wird und wieder zurück. Und wenn Adriana Bastidas Gamboa die Aria der Delila anstimmt und am Ende kurz und herrlich mit dem Tenor Jeongki Cho duettiert.

Das Lied der Frauen vom Fluss ist ein Pasticcio, eine Versuchsanordnung von Arien aus Renaissance, Barock und Romantik, zusammengestellt und mit Zwischenmusiken versehen von dem die Aufführung selbst leitenden Dirigenten Howard Arman und unter Einbeziehung faszinierend mikrotonal verwendeter, von Roland Olbeter entwickelter Klangmaschinen. Was bewegt, ist die Sinnlichkeit – und die Tatsache, dass einigen dieser Arien, aus dem üblichen Kontext gelöst, scheinbar, selbst in neu arrangierter Gestalt, gar neue szenische Kraft zuzuwachsen scheint, weil ihre Affektstruktur sozusagen ungeschminkt aufscheint.

Und es ist schön, mitzubekommen, wie spontan, mit wieviel Improvisation die ach so perfekte „La Fura dels Baus“-Maschinerie funktioniert. Ganz dicht sind die Zuschauer dran, sitzen auf zwei Tribünen an den Längsseiten des Raumes, das wogende, tanzende, kletternde, fliegende, vor Bildern berstende Geschehen zwischen sich. Ein Abend, der nichts erzählt, was irgendjemand noch nicht weiß und dennoch ein wohl einzigartiges Erlebnis bietet.