Musiker in Aufruhr
Eine Orchesterprobe. Alles wie immer. Oder doch so wie Orchesteralltag gemeinhin nach Außen kolportiert wird? Mit Gerangel um Dienstpläne, Panik, dass die Probe zu lange dauern könnte, weil dann die avisierte Mugge ausfallen muss und das Feilschen um Zuschläge. Viel Alltag, wenig Kunst also?
Bis hierhin verspricht Giorgio Battistellis Orchesterprobe recht amüsant zu werden, kann sich das Publikum doch ergötzen an all’ den präsentierten Klischees (die vielleicht gar keine sind). Doch dann wandelt sich ganz langsam die heitere Atmosphäre. Denn die Orchesterprobe wird von einem Fernsehteam begleitet, das Interviews führt mit einzelnen Musikern. Mit dem Konzertmeister etwa, der sich aufbläht, Virilität, Macht und Überlegenheit meint ausstrahlen zu müssen; oder mit dem schüchternen Klarinettisten, der sein ganzes Ego auf einem lange zurückliegendem Lob Herbert von Karajans über seinen „wunderschönen Klarinettenton“ aufbaut. Da machen sich Risse im scheinbar so festgefügten Haus „Orchester“ bemerkbar. Auch zeigt das Interview schonungslos Blasiertheit und despotische Rücksichtslosigkeit des Dirigenten. Da brauen sich Konflikte zusammen, zumal gerade Neue Musik geprobt wird, die im Orchester hochgradige Ressentiments hervorruft.
Und dann geht alles ziemlich schnell. Aus Problemen und Befindlichkeiten Einzelner wird in Windeseile ein Massenprotest gegen den Dirigenten. Es brodelt, dampft und kocht über bis das Theater in Schutt und Asche liegt und die Harfenistin unter sich begräbt. Stille danach, die der Dirigent mit einem Angebot zur erneuten Zusammenarbeit bricht. Und am Schluss bleibt die Frage, ob da wie ein Phönix aus der Asche wirklich ein Neues entstehen wird, oder ob alte Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnisse sich schnell wieder Bahn brechen werden.
Battistellis 1995 uraufgeführte Oper Orchesterprobe beruht auf einem Fellini-Film von 1979. Und das merkt man dem Werk auch an. Denn die Oper diskutiert die Fragen, die damals hochaktuell waren. Kann aus eine Masse von Individuen ein revolutionäres Kollektiv entstehen? Battistelli arbeitet in Orchesterprobe aber auch mit sehr vereinfachenden Bildern – kurz: mit Mitteln der Agit-Prop-Kultur, die in den späten Siebzigern noch schwer angesagt war. Das wirkt auf ein heutiges Publikum wahrscheinlich eher etwas angestaubt.
Leider kann sich auch Regisseur Ansgar Weigner diesem Sog nicht ganz entziehen, sondern hievt das Stück mittels Video-Projektionen unserer aller Bundeskanzlerin in Zusammenhang mit der AfD und dem Wort „Lügenpresse“ in die Gegenwart. Das hätte nicht sein müssen ob der Überdeutlichtkeit von Bildern und Symbolen. Wunderbar ist Weigners Personenführung. Und die ist bei der großen Zahl der Handelnden sicher nicht einfach. Aber Weigners Übersicht ist da einfach großartig. Er schafft es immer, Kommunikation einzelner Musiker in einem stimmigen, harmonischen Gesamtbild zu vereinen und so das Spannungsfeld Individuum und Kollektiv zu verdeutlichen. Dazu passen perfekt Kristopher Kempfs Kostüme, die in einem überbordenden Ideenreichtum jede Person ganz ureigen kennzeichnet – Glückwunsch!
Wen wundert’s: Orchesterprobe ist eine Choroper. Und was Inna Batyuk da mit den Damen und Herren des münsterschen Chors liefert, ist Gesangs-, aber auch Schauspielkunst vom Feinsten. In ständiger Bewegung - szenisch, aber auch musikalisch – sich zu orientieren ist sicher Schwerstarbeit, die alle perfekt meistern. Das ist eine selten erlebte Glanzleistung. Und das Solistenensemble fügt sich in seine Rolle als „verlängerter Arm“ des Chores, versucht nie, sich in den Vordergrund zu spielen. Insgesamt eine ganz fantastische Ensemble-Leistung, der sich das Sinfonieorchester nahtlos anschließt.
Generalmusikdirektor Fabrizio Ventura dirigiert seine letzte Opernpremiere in Münster. Er hatte sich zum Abschied eine Battistelli-Oper gewünscht. Und er beweist viel Herzblut, koordiniert Graben und Bühne perfekt und zeigt viel Übersicht angesichts dieser Musik, die stets fließt, immer in Aktion ist und keine Ruhepunkte kennt.