Übrigens …

Les Contes d'Hoffmann im Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier

Der Dichter in der von ihm erschaffenen Welt

Den Ernst Theodor Amadeus Hoffmann könnte es gefreut haben, wenn er vom Himmel oder aus der Hölle auf die Bühne des Musiktheaters im Revier geblickt haben sollte. Denn er, der frühromantische Autor, steht ganz im Mittelpunkt der Deutung von Jacques Offenbachs Les Contes d’Hoffmann. Michiel Dijkema stellt ganz klar die literarischen Vorlagen des Offenbachschen Opus magnum in den Vordergrund seiner Interpretation. Jula Reindell kleidet die Akteure höchst biedermeierlich.

Dijkema legt in seiner Interpretation des Hoffmann den Fokus ganz eindeutig auf die Nacherzählung der Handlung, die er gekonnt bebildert. Er entwirft einen Handlungsraum – Lutters Weinstube – und lässt die gesamte Oper dort spielen. Der große Tisch ist der Ort, auf dem sich die Leiden des Dichters entfalten. Stets beobachtet wird das Geschehen von Lutters Gästen – mal lebendig in bewundernswerter Fähigkeit, starr Position zu halten, mal in Puppenform. Und genau diese Konzeption führt zu einem absoluten No-Go: Um Puppen gegen lebendige Beobachter austauschen zu können, muss der Antonia-Akt durch eine Pause unterbrochen werden – das ist dramaturgisch ein exorbitanter Emotionskiller. Die sich steigernde Verzweiflung von Antonia, ihre Zerrissenheit zwischen Liebe und Profession wird schnöde abgerissen.

Dem Regisseur geht es aber letztendlich vor allem um schöne Bilder, die E. T. A. Hoffmanns surreale Gestalten lebendig werden lassen. Das gelingt bisweilen gut, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Dijkema keine Sorgfalt verwendet auf die Figurenausdeutung. Alle Handelnden bleiben schematisch, werden bestenfalls typisiert. Gerade vom anwachsenden Leiden und der Entwicklung des Titelhelden erfahren wir nichts.

Dass dieser Hoffmann dennoch im Gedächtnis haften bleiben wird, ist Valtteri Rauhalammi zu verdanken. Tiefsinnig schürft er gemeinsam mit der Neuen Philharmonie Westfalen in Offenbachs Partitur, formt schroffe Übergänge, exstatische Momente, höchste Sehnsucht und abgrundtiefe Verzweiflung. Das alles ist ebenso klar von einander getrennt, wie zu einem wunderbaren Ganzen verschmolzen. Die „Alte Tante“ Neue Philharmonie zeigt sich herrlich spritzig und unglaublich pointiert. Schade, dass Rauhalammi am Ende dieser Spielzeit Gelsenkirchen in Richtung Staatsoper Hannover verlassen wird. Hoffen wir, dass seine dirigentischen Impulse nachhaltige Wirkung zeigen.

Alexander Eberle kann sich auf seinen Chor verlassen. Kultiviert zeigen sich vor allem die Herren, denn ihnen fällt das Gros der Chorpräsenz im Hoffmann zu. Den Ensemblegedanken pflegt Michael Schulz in seinem Haus. Das macht sich bei der durchgängig hervorragenden Besetzung auch der kleinen Rollen bemerkbar. Petra Schmidt ist eine gurrende, lockende Giulietta, Solen Mainguenés Antonia ist eher kühl und still leidend. Punkten kann Dongmin Lee als Olympia. Sie ist eine stupend sicher zwitschernde Singmaschine – die ideale Rollenverkörperung. Urban Malmberg gibt die Bösewichte tief und abgründig.

Almuth Herbst als Muse/Nicklausse beginnt verhalten, strahlt aber in der großen Schlussarie, die sie mit großer Intensität verkörpert, ein inniges Mitleiden mit dem Dichter aus. Warum sie aber als Nicklausse sich in einen irischen Kobold verwandeln muss, bleibt Geheimnis des Regieteams. Vielleicht haben ein paar Guinness dabei geholfen, E. T. A. Hoffmanns Sandmann in der Grafschaft Cork anzusiedeln.

Eine unbedingte Entdeckung ist Joachim Bäckström in der Titelrolle. Der schwedische Tenor war bislang kaum außerhalb Skandinaviens zu hören - und darüber ist höchstes Erstaunen angebracht. Sein Tenor ist wunderbar kraftdurchströmt und ebenmäßig.

Vor allem musikalisch ein höchst ertragreich-spannender Abend.