Orpheus und Eurydike im Mönchengladbach, Theater

Musikalisch sensationell

Zunächst eine Binsenweisheit: die Musik von Glucks Orfeo ist ein Geniestreich. Dass dies am Theater Mönchgengladbach so eindrücklich bestätigt wird, liegt nicht wenig am Livecharakter des Abends. Bei Phonoaufnahmen erfährt die Musik halt doch immer ein gewisses Maß an Neutralität; live ist ganz einfach körperhafter, emotional dringlicher. Dass sich diese Gedanken bei der hier beschriebenen Aufführung so nachhaltig einstellen, hat auch und besonders mit der fantastischen musikalischen Interpretation zu tun, welche der Dirigent Werner Ehrhardt verantwortet. Der einstige Geiger und nunmehr vollberufliche Dirigent (20 Jahre bei Concerto Köln tätig), besitzt ein Gespür für Glucks Herzblut-Musik; gleichzeitig gestaltet er die Oper ausgesprochen theatralisch. Die Niederrheinischen Sinfoniker nähern sich der historisch informierten Aufführungspraxis maximal an, der Chor (Maria Benyumova und Michael Preiser) leistet Außerordentliches. Drei Sterne! Und Dank an das Publikum, welches sich an dem besuchten Abend störenden Zwischenbeifalls enthielt.

Wenn man von der etwas operettenhaften Gabriele Kuhn (Amor) absieht, sind auch die Sänger ohne Fehl und Tadel. Der Eurydike von Sophie Witte eignet leichte Herbheit. Aber das passt durchaus zu der Figur, die bei ihrer Auseinandersetzung mit Orpheus ganz schön energisch wird. Dennoch bleibt bei der Sängerin alles in einem fraulichen Rahmen. Eva-Maria Günschmann bot zuletzt eine etwas problematische Ortrud. Ihr Orpheus versöhnt auf ganzer Linie, vereint vokalen Wohllaut und leidenserfülltem Ausdruck. Dazu ist die hochgewachsene Sängerin eine optische Augenweide. Sie trägt moderne Männerkleidung, bleibt aber doch immer irgendwie Frau: ein leicht androgynes Erscheinungsbild. Sensible Darstellung, reiche Mimik.

Beeindruckend ist auch die Ausstattung von Markus Meyer (Allerweltskostüme freilich). In hellen Zimmerwänden sind links und rechts schwarze Türen eingelassen, die hintere besteht fast nur aus einer Fensterfront, ebenfalls schwarz, mit zerbrochenen Scheiben. Im Plafond ein Kristalllüster, eingefasst von dunklem Stuck. Bei den seligen Geistern wechselt Schwarz zu Weiß - absolut sinnfällig. Warum die Decke bei der Szene Orpheus/Eurydike zur Schräge wird, erschließt sich allerdings nicht.

Entschieden mehr Fragen sind freilich an die Inszenierung zu stellen. Jakob Peters-Messer lässt bereits während der Ouvertüre Amor aktiv werden, eine Mischung aus Maître de plaisir, Zirkusdompteur und Todesfigur (der Mund ist zur Hälfte mit Skelettzähnen geschminkt). Über das, was er tut, scheint er Buch zu führen, und das tut später auch Orpheus. Es sei erst gar nicht versucht, diese abseitige Regieidee zu entschlüsseln. Und in Amors Geigenbogen sieht man bestenfalls eine Verbindung zum Musiklehrer Orpheus bei Offenbach. Nur erhebt sich die Frage: wozu das Ganze?

Sie gilt auch dem Einsatz einer achtköpfigen Ballettcrew (Chef: Robert North), welche vor allem nach Musik von Don Juan tanzt. Mehr als „Einlagen“ kann man in diesen sportiven Intermezzi allerdings kaum sehen, was freilich zum weitgehend dekorativen Inszenierungsstil von Peters-Messer passt und leider zu etlichen musikalisch unstimmigen Nummernübergängen führt (es wäre interessant zu erfahren, ob und wie weit sich der Dirigent dagegen wehrte). Dem Jubelfinale wird noch ein meditatives Andante aus der Don Juan-Musik nachgeschickt, dazu ein nicht eben glücklich wirkendes Vis-à-Vis von Orpheus und Eurydike. Hat hier Regisseur Peters-… das Messer gegen Glucks lieto fine zücken wollen? Fragen über Fragen.