Übrigens …

Beethoven's last night im Dortmund, Oper

Beethovens letztes Stündlein

Es ist vollbracht! Der letzte Takt der 10. Sinfonie ist komponiert, Ludwig van Beethoven am Ende seiner Kräfte. Und auch am Ende seiner geistigen Kapazitäten – dem Alkohol sei Dank! Draußen tobt ein heftiges Gewitter, Blitze zucken, Donner krachen. Schon bald wird es aber auch in Beethovens Wohnung – in chaotischem Zustand wie immer – blitzen und zucken. Um Mitternacht nämlich, wenn Mephistopheles ihn heimsucht! Der hat es auf die Seele des komponierenden Meisters abgesehen. Für all die Sünden in seinem Leben soll Beethoven sie abgeben, sprich: sterben. Es sei denn, er opfert seinem Widersacher die 10. Sinfonie, „das Beste, das ich jemals komponiert habe“, wie Beethoven findet. Ein gruseliges Dilemma!

Paul O’Neil hat aus dieser fiktiven Geschichte eine Rockoper gemacht, die Texte dazu geschrieben und sie zusammen mit Robert Kinkel, John Oliva und Chris Caffery in Töne gesetzt. Jetzt erlebte Beethoven’s Last Night, um das Jahr 2000 herum entstanden, ihre deutsche Erstaufführung in der Inszenierung von Alexander Becker – eine ganz spezielle Aufführung, denn sowohl auf der Bühne als auch im Orchestergraben agierten in erster Linie Schülerinnen und Schüler des Märkischen Gymnasiums Iserlohn und des Opernclubs „Die Tortugas“. Es ist das zweite Mal, dass das Dortmunder Opernhaus mit dieser Schule ein Kooperationsprojekt stemmt, unterstützt von einigen Profis des hauseigenen Ensembles und Mitgliedern der Dortmunder Philharmoniker. Einmal mehr erweist sich Dortmunds Opernintendant Jens-Daniel Herzog als Förderer eines Partizipationsprojektes, das sich die Zusammenarbeit von Schulen und dem Opernhaus auf seine Fahnen geschrieben hat. Ergebnis: eine durch und durch runde Sache, bei der jeder Schüler und jede Schülerin sein bzw. ihr Bestes gibt – ganz nach den jeweiligen Möglichkeiten. Gesungen und gespielt wird auf beachtlichem Niveau. Im Chor und unter den Solisten ist manches Talent, das echtes Potenzial hat.

Paul O’Neil, der erst im April 2017 verstorbene Komponist und Gründer des Trans-Siberian Orchestra, erzählt mit Beethoven’s Last Night eine eher schlichte Geschichte. Was tut jemand, der mit seinem unmittelbar bevorstehenden Tod konfrontiert wird? Er lässt sein Leben Revue passieren! Just dies geschieht in den neunzig Minuten, die O’Neil für seine Rockoper braucht. Da kommt der kleine Junge namens Ludwig vor, wie er von seinem Vater malträtiert und quasi zum Üben an den Flügel gekettet wird. Und der jugendliche Beethoven, der erfolglos bei Mozart um Unterricht bittet – und ebenso erfolglos bei der adligen Therese um deren Hand. Beethoven, der Tastenlöwe, Beethoven, der Vormund seiner jüngeren Geschwister, der nach Wien übersiedelt und dort dauernd die Wohnung wechselt... Episoden aus einem doch sehr eigenwilligen Künstlerleben. Marvin Zobel setzt die Hauptrolle mit Haut und zauseligem Künstlerhaar wirkungsvoll um. Auf einer eher sparsam ausgestatteten, aber eben deshalb funktional flexibel nutzbaren Bühne: Lichteffekte bringen gute Wirkungen, auch Videosequenzen, projizierte Standbilder und der Einsatz der Drehbühne. Vom Himmel herab schwebt eingangs die personifizierte Zeit, ausstaffiert wie eine Göttin, die für die Dauer des Stücks fast omnipräsent ist – der permanente Countdown, bis Mephistopheles gnadenlos zuschlagen wird.

Tut er aber nicht, kann er gar nicht! Weil Paul O’Neil sich des „Deus ex machina“ bedient. In diesem Fall: der Vertrag, den Ludwig van Beethoven mit dem Tod ausgehandelt hatte, wird hinfällig. Denn flugs wird das Schriftstück „umgemünzt“ auf Beethovens älteren Bruder, der ebenfalls Ludwig hieß, aber schon als Kind das Zeitliche hatte segnen müssen. Und wer schon tot ist, den kann man nicht noch toter machen! Für Mephistopheles ist das Spiel also aus. Die letzte Szene: Beethoven spaziert mit Joseph Haydn durch einen heimeligen Wald mit zwitschernden Vögeln! Oder ist dieser Wald womöglich doch der Himmel und Beethoven im Paradies?

Alexander Beckers Inszenierung profitiert von der absoluten Spielfreude sämtlicher Akteure. Und zeugt von seinem handwerklichen Können im Umgang mit knapp hundert Akteuren auf der Bühne. Das ist in jedem Augenblick virtuos und intelligent gemacht und sorgt im Zusammenspiel mit Annika Hallers tollen Kostümen für wunderschöne Bilder. Großes Manko dieser auf Englisch gesungenen Produktion: deutsche Übertitel fehlen! Deshalb bleiben weite Strecken der Handlung schlichtweg unverständlich. Musikalisch fällt die Ernte hinsichtlich dessen, was O’Neil und Co. komponiert haben, eher schwach aus: die Partitur gibt sich eintönig, gleichförmig und nicht sonderlich inspiriert. Alle Achtung, was Dirigent Stefan Scheidtweiler mit der Band und den Streichern des Märkischen Gymnasiums Iserlohn dennoch stellenweise aus ihr herausholt.

Der Premierenjubel war erwartungsgemäß riesengroß. Schließlich saßen im fast ausverkauften Dortmunder Opernhaus (wann erlebt man solches schon einmal?) jede Menge Papas und Mamas, Onkel und Tanten, Geschwister und Großeltern der Akteure. Die hatten größten Spaß und geizten auch nicht mit Zwischenapplaus.