Neues Monteverdi-Pasticcio des Kobie van Rensburg
Es war fraglos Planungszufall, dass die beiden unmittelbar aufeinander folgenden Eröffnungspremieren am Theater Mönchengladbach von Tenören inszeniert wurden. Carsten Süss (Kálmáns Faschingsfee) ist weiterhin als Sänger tätig, Kobie van Rensburg hat seine entsprechende Karriere, welche in der „alten“ Musik ein Zentrum hatte, mittlerweile beendet. Seit einem Jahrzehnt führt er Regie, wobei der Einsatz von Videos zu seiner speziellen Ästhetik gehört. Bei ihm bilden sie allerdings kein partielles Dekor, wie man es oft anderswo sehen kann, sondern sind integraler Bestandteil seiner szenischen Bilderwelten. Am Gemeinschaftstheater Krefeld/Mönchengladbach hat er auf diese Weise Mozarts Figaro und Giovanni sowie Rossinis Barbier erarbeitet, brachte auch im Studiotheater Mönchengladbach eine Produktion heraus, die von Sängern des Opernstudios Niederrhein bestritten wurde. Der Titel The Gods must be crazy lässt unschwer erkennen, dass es sich hier um etwas Komödiantisches handelte. Der seltsame Fall des Claus Grünberg mit Monteverdi-Musik hingegen ist totale Tragödie, wo die kurze, aufgekratzte Liebesszene zwischen zwei Krankenschwestern den Charakter des Stückes fast schon ein wenig aus dem Gleichgewicht bringt. Entschieden stimmiger ist die „Zugabe“ des Sängerensembles, welches mit einem der Scherzi musicali zur Heiterkeit auffordert, aber gleichzeitig mahnt, darüber Tränen und Trauer nicht zu vergessen, welche bald wieder Oberhand gewinnen.
Claus Grünberg, der von Kobie van Rensburg erfundene Komponist, ist ein Alter Ego des Divino Claudio, dessen 450. Geburtstag derzeit gefeiert wird, auch von dessen Orfeo. Der Südafrikaner Rensburg ist mit Monteverdi seit seiner Jugend zutiefst vertraut, hatte als Sänger alle seine Opern im Repertoire wie auch viele Vokalkompositionen. „Ich bin verrückt nach Monteverdi“ lautet die Überschrift seines Programmheftbeitrags. Als Knabe verpasste er mal eine wichtige Lateinarbeit, weil ihn die Musik so gefangen nahm. Als Sänger kann er auf eine stolze Bilanz verweisen, was Bühne und Aufnahmen betrifft. Seine erste Arbeit als Regisseur galt dem Orfeo, den er dann nochmals erarbeitete, unter anderem als Teil einer Monteverdi-Trilogie inklusive Ulisse und Poppea. Sogar das szenisch nicht leicht zu bewältigende Combattimento hat er inszeniert und ist darüber hinaus verantwortlich als Autor dreier Monteverdi-Pasticcios (Il Pianto d’Orfeo, Tirsi, Clori e Fileno, Lamento). Der seltsame Fall des Claus Grünberg schließt hier nahtlos an.
Grünberg hatte - so der Plot der „Favola in musica“ (!) - einen Unfall, bei welchem seine Frau Claudia und Tochter Arianna ums Leben kamen. Er selber vermag dieses Erlebnis nicht zu verarbeiten, kommt in eine psychiatrische Klinik, wo Chefarzt Dr. Bardi herausfindet, dass eine Behandlung im Verein mit Monteverdi-Musik am erfolgreichsten ist. Dennoch hadert der Patient weiterhin mit seinem Schicksal, verbeißt sich in Fragen über Schuld und Sühne, wobei ihm seine Gedankenspiele Personen aus Monteverdis Oper an die Seite geben. Ein ziemlich intellektueller Konstrukt, dessen „Handlung“ auch bei wiederholtem Lesen der Inhaltsangabe nicht bis ins Letzte nachvollziehbar ist. Verständlich wird allerdings die immense Trauerlast bei Grünberg, welche zuletzt zum Selbstmord führt. Nichts also von Tod und Verklärung wie in Monteverdis originalem Orfeo.
Das hat Rensburg klug und tiefenpsychologisch raffiniert dramatisiert. Aber als Zuschauer ertappt man sich während der zweistündigen (und damit fraglos ein wenig zu langen) Aufführung mit ihrem dominanten Lamento-Charakter dabei, dass man einer Logik der Vorgänge nicht mehr nachsinnt, sondern sich primär von den Bildern beeindrucken lässt. Der Regisseur arbeitet mit Livekameras und vorgefertigten Videos, kombiniert diese virtuos. Manche Bilder geben Rätsel auf wie der Buckelwal, welcher durch einen von Wasserfluten bedeckten Wald schwimmt. Aber die Optik ist stark.
Vor seinem Suizid singt Andrew Nolen, der schon vorher mehrfach mit Counterhöhen die schizophrene Befindlichkeit der Titelfigur verdeutlicht, eine fast drei Oktaven umfassende Arie aus Händels Kantate Aci, Galatea e Polifemo. Ihre Wirkung ist freilich nicht so dringlich, dass man die Infiltrierung eines „fremden“ Stückes akzeptieren möchte. Zu einem in toto spannenden und vom Premierenpublikum reich beklatschten Abend hat das ganze Unternehmen dennoch geführt. Nolen ist kein dezidierter Belcanto-Sänger, gibt den Monteverdi-„Kantilenen“ jedoch emotionale Tiefenschärfe. Susanne Seefing als seine Gattin (alternativ Eurydike etc.) erfreut mit noblem, fraulichem Gesang. Den Arzt verkörpert James Park mit seinem klangstarken Tenor vorzüglich; einen Tag zuvor hatte er als Chormitglied in Kálmáns Faschingsfee auf der Bühne gestanden. Von den Mitgliedern des Niederrheinischen Opernstudios (dem Park auch mal angehörte) kommen schöne Eindrücke, wobei Panagiota Sofroniadou mit klarem, höhensicherem Sopran und attraktiver Erscheinung besonders in Ohr und Auge sticht. Aber auch Agnes Thorsteins und Alexander Kalina bieten hohes Niveau, vokal wie darstellerisch.
Es erfreut, dass die sechs Streicher der Niederrheinischen Sinfoniker (zwei Violen!) mit dem Monteverdi-Stil gut zurechtkommen. Yorgos Ziavras, Repetitor mit Dirigierverpflichtung am Haus (bis zu seiner Festanstellung gehörte er dem Opernstudio an), leitet das um eine Lautenistin ergänzte Ensemble mit enormem Elan und bedient dazu noch Portativ und Cembalo. Ein Feuerkopf, wie es scheint. Zu hoffen ist, dass der ambitionierte Abend (Uraufführung!) nach den fünf angesetzten Vorstellungen noch weitere Aufführungschancen erhält.