Und die Liebe siegt doch
Kurz vor Vorstellungsbeginn braust ein goldlackierter Mercedes über Dortmunds Ostwall – in echt jetzt. „Boah“, denke ich, „Da hat’s aber einer nötig“. Und dann findet dieser Auftritt tatsächlich eine Fortsetzung auf der Opernbühne. Aus dem finsteren Slawonien rauscht nämlich Graf Mandryka heran, um die liebreizende Arabella zu heiraten und aus der Metropole Wien in seine Waldeinsamkeit zu führen.
Doch dieser Mandryka ist kein bärenstarker Hinterwäldler, sondern kommt goldkettchenbewehrt irgendwo aus dem halbseidenen Milieu daher – samt Schläger oder Türsteher eines seiner Clubs, in denen es sicher nicht immer ganz gesetzestreu zugeht. Ganz offen brutal instinktgesteuert ist Mandryka. Und vielleicht fährt der sogar einen goldlackierten Mercedes...
Das ist ein starker Akzent, den Dortmunds scheidender Opernintendant Jens-Daniel Herzog in seiner Sicht auf Richard Strauss’ Arabella setzt. Aber seine Titelheldin ist auch nicht das verträumte KuK-Mäuschen, sondern eher moderne Großstadtpflanze, die im Ledermantel und Stiefeln erscheint. Abgeklärt und desillusioniert wirken beide. Bleibt da noch Platz für die wirklich großen Gefühle? Flüchtet sich das Liebespaar nicht einfach nur in eine Traumwelt, die an der Realität scheitern muss? Das ist die Kernfrage, die Herzog in seiner Inszenierung aufwirft. Er lässt sie letztlich unbeantwortet, ob beabsichtigt oder nicht.
Zu wenig tut er auf jeden Fall, um das Umfeld der Protagonisten auszuleuchten – richtet sein Augenmerk vor allem auf Mandryka und Arabella. Mathis Neidhardt schafft eine Einheitsbühne – erst Hotelsuite, zum Schluss dann Foyer mit großer Treppe zum Showdown. Der richtige Rahmen war also bereitet für das Offenbaren von Seelenqualen, äußerster Not und das Auflösen des gordischen Knotens der Verwicklungen. Doch gerade hier bleibt Herzogs Personenführung merkwürdig defensiv. Kaum etwas findet statt an Bewegung. Innerlich scheinen die Figuren ihre Konflikte auszutragen ohne sie dem Publikum wirklich mitzuteilen.
So war es der Musik überlassen, dem Publikum etwas vom Inneren der Personen zu offenbaren. Das gelingt sehr gut. Gabriel Feltz und seine Dortmunder Philharmoniker schaffen es immer wieder, auch die delikaten Details der Strausschen Partitur wunderbar zu vermitteln.
Die kleinen Rollen sind toll besetzt. Julia Amos als Kartenaufschlägerin und Almerija Delic als Adelaide sind wahrhaft volltönende Luxusbesetzungen , während Morgan Moody eher ein jugendlicher Waldner ist. Die Spielsucht, das Manische vermag er nicht zu vermitteln. Alexander Sprague, Marvin Zobel und Luke Stroker als gräfliche Arabella-Verehrer und gleichzeitige Zocker-Kumpane ihres Vater versprühen jugendliche Unbekümmertheit. Ihre Stimmen mischen sich ausgezeichnet. Jeanette Wernecke zwitschert als Fiakermilli mühelos und lädt anheimelnd zur großen Party ein.
Ashley Thouret und Thomas Paul werden als Zdenka und Matteo von der Regie eher im Hintergrund gehalten. Sängerisch wirken beide noch ein wenig gehemmt, haben ihre Rollen aber perfekt verinnerlicht.
Emily Newtons Arabella ist weniger ernst, denn kapriziös-überlegen. Sangmin Lee überzeugt als Mandryka. Er lässt seinen Gefühlen mit raumgreifender Stimme freien Lauf – instinkt- und bauchgesteuert.
Dass diese Arabella keine Funken schlägt, liegt vielleicht am schlecht besuchten Opernhaus. Das Ende eines langen Wochenendes ist sicher kein guter Termin. Es liegt sicher aber auch an den arktischen Temperaturen im Zuschauerraum. Da kann einfach keine wohlige Gefühlswärme aufkommen.