La Traviata im Köln, Oper

Violetta stirbt im Schneckenhaus

Ende November 2009 fand (noch im alten Opernhaus am Offenbach-Platz) die letzte Kölner Traviata-Inszenierung statt und wurde an gleichem Ort zwei Jahre später neuerlich gezeigt. Die Arbeit von Dietrich Hilsdorf hatte viel für sich und dürfte auch ein weiteres Mal attraktiv gewesen sein. Aber vermutlich wäre die Übernahme des Bühnenbildes ins Staatenhaus nicht möglich gewesen. So kam jetzt Benjamin Schad zu der Ehre, die Verdi-Oper aus seiner Sicht zu bebildern.

Betritt man den Zuschauerraum, sieht man vor der eigentlichen Bühne ein großes Wasserbecken, in dem auch Pflanzen sprießen. In welcher Szene, so überschlägt man rasch die Handlungsorte der Oper, könnte dieser Mini-See Verwendung finden? Zunächst durchwatet ihn im zweiten Bild der Diener bei seiner Briefübergabe, auf Floras Fest wird der Marquis d’Obigny von der exaltierten Feiergesellschaft hineingeworfen. Das Wasser spritzt, das Publikum lacht, der kritische Zuschauer fragt sich indes: was soll’s?

Tobias Flemmings eigentliches Bühnenbild ist eine den ganzen Abend gleichbleibende schwarze Treppenlandschaft, lediglich möbliert mit nüchternen, vielfach umgestürzten Stühlen. Gegliedert wird die Szene durch leichtstoffige Vorhänge, die kulissenartig geschrägt in die Szene hinein hängen, anfangs rechts-, später linksbündig, dann untereinander verschoben, zuletzt in die Höhe gerafft. Eine augenfreundliche Dekoration, jedoch ohne besondere Prägekraft. Ansonsten ist dieses Arreal umgeben von dunklen, geäderten Wänden. Im Hintergrund links befindet sich ein runder Raum, aus dem es kaminartig leuchtet. Flemming hat ihm das Gehäuse einer Nautilusschnecke zugrunde gelegt, eine Art Zufluchtsort für Violetta, was im Finalbild besonders nachdrücklich demonstriert wird. Man nimmt diese Idee zur Kenntnis, ohne von ihrem Symbolcharakter überwältigt zu sein.

Bei Ingrid Erbs Kostümen steht Schwarz für die Pariser Lottergesellschaft, Weißhelle für privates Glück Wenn Germont père im Duett mit Violetta diese bis auf ihre dunklen Dessous entkleidet, wird - auf massiv symbolische Art – ihre spätere Rückkehr in die Demimonde angedeutet. Ob Alfredos moralisch dozierender Vater in dieser Szene der einstigen Kurtisane auch real „an die Wäsche“ will (so eine Premierenkritik) scheint als Deutung einigermaßen gewagt. Das Überschreiten von Verhaltensgrenzen zeigt sich eigentlich eher in dem (dann doch nicht ausgeführten) Kuss. Insgesamt wird man diese Szene einfach nur farbsymbolisch verstehen wollen.

Zu Beginn der Rahmenbilder sieht man durch den gazeartigen Hauptvorhang, wie Violetta (Double) immer wieder einen Mann bespringt. Ein Anonymus löst ihre Hände von dessen Hals, und sie sinkt zu Boden. Deutungsversuch: Violetta versucht sich vergeblich an ein als ideal erträumtes Leben zu klammern. Ähnliches passiert einmal auch bei Alfred, wohl nicht von ungefähr.

Jenseits solcher etwas gewollt wirkenden Momente liefert Schad nicht viel, was einem das Sujet, womöglich mit Verweisen auf das Heute, nahebringen würde. Dass beim Karnevalschor (eigentlich lontano) Floras Festgesellschaft in Erscheinung tritt, ist eine durchaus stimmige, optisch aber reichlich breit ausgeführte Idee. Warum Alfredo bei „De miei bollenti spiriti“ eine Axt tragen muss, welche ihm zuletzt von der seltsam verschüchterten Annina aus der Hand gerissen wird, erschließt sich hingegen nicht. Im Übrigen viel Stehtheater.

Mit dem Gürzenich-Orchester bietet Matthias Foremny eine überaus seelenvolle, emotionale und klangschöne Interpretation. Einige Tempi, speziell im zweiten Akt, machen in ihrer Gedehntheit den Sängern allerdings zu schaffen. Marina Costa-Jackson, rassig in der Erscheinung, vermeidet dank ihres stahlkräftigen Soprans, dass die Figur der Violetta ins Niedliche abgleitet. Die Koloraturen geraten ihr nicht ganz perfekt, außerdem wünschte man sich auch in der Höhe subtilere Piani. Bei David Junghoon Kim, welcher anfangs auf nette Weise einen gänzlich schüchternen Alfredo spielt (brave Handküsse, ein kleines Präsent für Violetta) muss man wohl noch etwas abwarten, was aus diesem koreanischen Tenor wird. Er wirft sich zwar voll auf seine Partie, frappiert mit sicherer Tongebung, bietet Ausdrucksnuancen. Aber die Höhe wirkt manchmal leicht verkniffen, und an vokaler Geschmeidigkeit könnte das Rollenprofil generell gewinnen. Lucio Gallo bietet einen Germont mit Persönlichkeit, die nur nicht immer voll gefordert wird. Und sein Falstaff, den er in dieser Spielzeit bei der Wiederaufnahme nochmals verkörpern wird, ist eine noch rundere Figur. Ansonsten wären unter positivem Aspekt zu nennen: Adriana Bastidas Gamboa (Flora schon 2009) sowie die ehemaligen Opernstudio-Mitglieder Judith Thielsen (Annina), Insik Choi (Douphol) und Matthias Hoffmann (D’Obigny).

Bei Benjamin Schad erinnert man sich gerne an seine ganz und gar faszinierende Inszenierung von Brittens Turn oft the Screw in der Kölner Trinitatiskirche (mit Helen Donath in einer ihrer letzten Rollen). Ein vielleicht übermächtiger Schatten für seine Traviata.