Übrigens …

Die Dreigroschenoper im Schauspielhaus Düsseldorf

Brechts Gaunerplatten im Clownskostüm

Die Große Bühne ein riesiger metallisch schimmernder Käfig: rundum und an der Bühnendecke quadratmetergroße Platten aus hauchdünner, transparenter Metall-Gaze, lose aufgehängt. In allen möglichen Farben angestrahlt, geben sie im Laufe des Abends einen irisierenden Hintergrund für ein buntschillerndes Komödienspektakel. In der Mitte der Bühne ein großer, halb in den Boden versenkter Käfig, in dem acht Männer, Gefangene oder Musiker, oder beides? in clownesker Verkleidung mit Melonen auf dem Kopf ihre Instrumente putzen und immer wieder ein großes Pappschild mit der Aufschrift HELP! hochhalten. Und dann legen sie los, diese Männer, mit Poltern, Rütteln und Rumsen und schließlich mit der wunderbaren Weillschen Musik, dem unverwechselbaren Sound zwischen Jazz und Schlager, Melancholie und Gassenhauer, die der Regisseur und Bühnenbildner Andreas Kriegenburg so ganz – im wahrsten Sinne des Wortes - ins Zentrum seiner Inszenierung stellt.

 

Ganz zweifellos ist es diese als Zirkuskapelle verfremdete Band unter Franz Leander Klee, die mit ihrer so temperamentvoll wie sensibel gebotenen Musik die bunt flackernde Inszenierung grandios zusammenhält, alles miteinander verzahnt und dem Ganzen Dichte und Strahlkraft gibt.

 

Ein weiterer Clown stürzt auf die Bühne mit der brechtschen Ansage: “Weil diese Oper so prunkvoll gedacht war, wie nur Bettler sie erträumen können….“ Und schon greifen sie Raum, die Traumbilder dieser Inszenierung: schrill, grotesk stürmen die Figuren auf die Bretter, hängen sich an die Gitter des Käfigs, steigen aufs Dach: alle grell geschminkt, die weiße Farbe fingerdick aufs Gesicht gespachtelt, so dass sie im Laufe des Spiels langsam abbröckeln muss, die Münder bizarr überzeichnet. Die Kostüme, viktorianische Klamotten, hängen zum Teil in Fetzen verlottert an ihren Figuren. Alle gemeinsam bilden einen herrlich komischen Chor, an dessen stimmlicher Exaktheit allerdings noch zu feilen ist. Mitten darunter Peachum (Rainer Philippi), Chef der „Bettlerplatte“, in breit gestreiftem Outfit – Sträflings- oder Manageraufzug? – mit Oberlippenbärtchen und schwarzer Hitler-Haarsträhne in der Stirn, dazu mit verstellter, leicht schnarrender Stimme sprechend: eine böse Karikatur. Daneben sein Konkurrent im Gaunermilieu Macheath, oder auch Mackie Messer, grandios gespielt und gesungen von Serkan Kaya. Er ist es, der den etwas starren Bildern des Abends Dynamik und am Ende in einer großartigen Szene unter dem Galgen Dichte und Sinnhaftigkeit gibt.

Auch die Frauenrollen, alle mit Schauspielerinnen aus dem Ensemble besetzt, bestechen mit brillantem Gesang. Allen voran Claudia Hübbecker, stimmlich und darstellerisch glänzend in der puppenhaft erstarrten Rolle der Frau Peachum, neben ihr, nicht minder kraftvoll, Lou Strenger als ihre Tochter Polly, deren Soli fast zu feurig klingen in der ansonsten eher naiv angelegten Rolle der betrogenen Braut. Und dann ist da noch die adrette Spelunkenjenny, eine am wenigsten zum Klischee geeiste Nebenrolle, die Sonja Beißwenger im antikisierenden Hurendress aus schwarzer Spitze mit roten Dessous rasant gibt.

Aber trotz der bestechenden Soli und phantastischer Bilder kommt die Inszenierung im ersten Teil weithin so grotesk erstarrt bis klamaukig daher, dass fast nichts durchschimmert von der brechtschen Absicht, das Denken anzustoßen. Die Figuren agieren comichaft, ohne jede Entwicklung. Und offensichtlich vertraut Kriegenburg dem Brechtschen Text auch nicht wirklich, sondern glaubt ihn mit Kalauern mühsam aufpeppen zu müssen. Da heißt es dann „weiter mit Brecht und Ordnung“; oder Mackie Messer und der korrupte Polizeichef Brown (bizarr erbärmlich: Thomas Wittmann) werden wahllos aufgereiht mit Baader/Meinhof, Lolek/Bolek, Fix/Foxi, Cindy/Bert und anderen, die so gar nichts zu tun haben miteinander oder mit dem Stück. Grenzwertig wird es bei der wiederholten Assoziation von Luden-Juden-Jugendfreund. Und auch „ O sole mio“ und „Gründgens“ gehören wohl nicht zu Brecht. Völlig unnötig auch, dass Serkan Kaya zu einer kabarettistischen Dialekt-Imitation ganz aus seiner Rolle heraustritt.

Intensiver und näher an Brecht entwickelt sich der zweite Teil nach der Pause mit wunderbaren Weill-Songs, einem kuriosen Zickenkrieg, mit Bosheit und Verrat. Schließlich dann die ergreifenden Galgenszene: da ist Mackies Schminkmaske fast ganz abgebröckelt und ein menschliches Gesicht zeigt sich in existentieller Angst und Verzweiflung. Darauf setzt Brecht den Clou der Doppelmoral: Die Königin befreit den Gangster-König, adelt und alimentiert ihn! Dazu könnte einem tatsächlich Heutiges einfallen, doch in Düsseldorf endet‘s mit einer albernen Slapstick-Nummer: mit Sahnetorte am Bühnenrand.Das macht aus dem brechtschen Sarkasmus endgültig eine Farce.

Das Publikum bedankte sich für eine pittoreske Komödie und bravouröse Schauspielleistungen mit herzlichem Applaus und verzieh offensichtlich dem berühmten Regisseur, dass er Brechts Intension und die Moral von der Geschichte unter Schminke und Operetten-Klamauk verschüttet hatte.