Standardparty
Das Finale im zweiten Akt entwickelt sich so, wie heute Operette gemacht wird, will man sie pauschal ‚modern‘ machen – eine Orgie mit viel nackter Haut, zotigem Humor, dem einen oder anderen Herren im Frauenkostüm und einem Chor, der im hinteren Teil der Bühne das macht, was ein Chor macht, wenn ein Regisseur ihm sagt: „Tut mal so, als wärt ihr auf einer Party!“ Da kommt der Gerichtsdiener Frosch, noch nicht im Gerichtsdienerkostüm, aber bereits in Gestalt des renommierten Kabarettisten Jochen Busse und tut so, als wolle er eine Lanze brechen für die traditionelle Walzeroperette, die eine Rettung sei in unserer Zeit. Nicht die Operette sei heute aus der Zeit gefallen, sondern das heutige Zeitgeschehen. Und alle ziehen sich Hosen oder lange Röcke an und tanzen sittsam weiter.
Was soll das eigentlich? Wollte man da eine Reflexionsebene einziehen oder gar eine Sicherung einbauen? A la „Wir meinen es gar nicht so wild“ für das konservative Publikum? Und – stimmt das überhaupt? Ist die Operette wirklich zeitgemäß? Antwort: ja, aber! In der klassischen Operette geht es immer um das Leben einer bestimmten Schicht: große Bürger, kleine und mittlere Adlige, schlicht die Leute, die auch ins Theater gingen. Die bekamen auf eine Weise den Spiegel vorgehalten, dass die entweder über sich selbst lachen konnten oder annehmen durften, sie persönlich wären gerade nicht gemeint. Oder man delektierte sich einfach an der spektakulären, eleganten, timingsicheren Show.
Wie steht es damit bei der neuen Kölner Fledermaus? Schon im ersten Moment rückt die Regisseurin Petra Luisa Meyer beide Hauptfiguren vom Zuschauer weg. Rosalinde wird dadurch, dass ihr ein Haufen Einkaufstüten teurer Modehäuser vorausgetragen werden, bereits vor ihrem ersten Auftritt als verschwendungssüchtig denunziert, Eisenstein selber nimmt nach dem Aufstehen erst mal Alkohol zu sich, steht also entweder extrem spät auf oder er säuft schon morgens. Im Weiteren wird eine angeblich 10000 € teure Rotweinflasche aus dem Kühlschrank genommen. Wir sind also bei Proleten, die zu Geld gekommen sind oder Neudeutsch: wir sind bei den Geissens – aber ohne jede Reality-Ebene. So geht es weiter. Es werden ausschließlich schmierige, unredliche Typen vorgeführt, auf die das Publikum herabsieht, deren Verwicklungen und Entwicklungen also egal sind. Kein Charme, keine Eleganz nirgends, nur abgestandene Kalauer mit unsicherem Timing auf fast jeder Ebene.
Nun ließe sich einwenden, dass wir eben keine Adelsgesellschaft mehr haben und dass diese also heute in einer Fledermaus – Inszenierung fast notwendig durch die heutige Geldadelsgesellschaft ersetzt werden muss. Aber dann muss dieses gezeigt, darf es nicht nur durch Änderungen im Dialog behauptet werden. Die quietschbunten Chorkostüme zum Beispiel lassen keinerlei gesellschaftliche Verortung zu, sind irgendwie Party. Da wirft sich Graf Gabriel von Eisenstein in seinen Smoking, sieht richtig schnieke aus, gerät dann auf dieses angeblich prominente Fest, wo alle anderen, sogar der Gefängnisdirektor – ein hoher Beamter, wenn auch inkognito – billiges buntes Zeug tragen. Und er wundert sich nicht und sie wundern sich nicht. So einfach ist Die Fledermaus leider nicht zu haben.
Das ist doppelt schade, weil die musikalische Seite dieser Produktion hocherfreulich ist. Für das Ensemble der Kölner Oper ist die Fledermaus deutlich das richtige Stück. Ivana Rusko könnte einen etwas lasziveren Csardas singen, hat die Rosalinde, eine oft unterschätzte Partie, ansonsten aber im kleinen Finger. Miljenko Turk geht spielerisch, fast genießerisch mit der Musik seines Eisenstein um und macht auch im Spiel etliche Angebote, die die Regie leider nicht zum Aufbau einer interessanten Figur nutzt. Auch Claudia Rohrbachs Adele macht richtig Spaß, Kangmin Justin Kim gibt einen in jeder Hinsicht außergewöhnlich beweglichen Prinzen Orlofsky, der leider seine Fröhlichkeit ausgerechnet in dem Moment wieder findet, als sich der Gerichtsdirektor Frank auf Rechtsanwalt Falkes Hemd erbricht und auch Marco Jentzsch erfreut als Alfred erheblich mehr als in seinen Wagner-Partien an gleicher Stelle. Dazu präsentiert sich das Gürzenich-Orchester in Bestform. Schon in der Ouverture hört man förmlich die Sektkorken knallen, formt Marcus Bosch einen herausragenden, trocken prickelnden Cocktail – und hält im Folgenden das Niveau, mit stets flexiblem, farbreichem Orchesterklang. Und Jochen Busse? Der hielt den Kölnern dann im dritten Akt, an der eigentlichen „Frosch – Stelle“ tatsächlich mal den Spiegel vor, auf witzige, teilweise sogar elegante Weise. Diese musiklose Viertelstunde war dann tatsächlich – Operette.