Großer Wagner für kleine Leute
Die Kölner Oper hat sich etwas Waghalsiges vorgenommen. Sie will Wagners Ring des Nibelungen für Kinder und Jugendliche aufbereiten, aber eben nicht als mythenniedlich-humorigen ‚Ring an einem Abend‘. Vielmehr wollen die Regisseurin Brigitta Gillessen und der Dirigent Rainer Mühlbach so viel inhaltliche und musikalische Substanz wie möglich bei ihrer Aufbereitung für ein junges Publikum erhalten. Auch bei ihnen hat der Ring vier Teile – nur hat sich jeder einzelne auf eine gute Stunde Spielzeit zu beschränken. Und nach der für 2020 geplanten Götterdämmerung sind sogar zyklische Aufführungen geplant.
Die erste Premiere, Wagners Vorabend Das Rheingold, macht eindeutig Mut, dass dieses ungewöhnliche Projekt gelingen kann. Mit bewundernswerter Konsequenz haben Gillessen und Mühlbach die Partitur in kleine, teilweise gar kleinste Teile zerschnitten und neu zusammengesetzt. Dennoch, und das ist vielleicht die größte Leistung an diesem Nachmittag im Kölner Staatenhaus, spürt man in jedem Moment die Größe und Relevanz dieses unglaublichen Entwurfs. Das hat auch mit dem konsequenten Zugriff der Regisseurin zu tun. Sie bringt die Mythen- und Märchenebene so stringent wie zwanglos mit heutigen Deutungsmustern zusammen, deutet das titelgebende Gold ökologisch, führt deutlich vor wie alle diese Figuren von ihrer individuellen Gier gesteuert werden, zeigt wie eine herrschende Gruppe – hier: die Götter – alle anderen zu Außenseitern degradiert, und sich aus diesem Grund doppelt überlegen fühlt. Bemerkenswert klar wird die Fabel erzählt, bis hin zu kurzen Sprechpassagen zur Verständnissicherung an den Knotenpunkten der Handlung. Dazu beweist Gillessen bemerkenswertes handwerkliches Geschick bei der Gestaltung der vielen, in ‚großen‘ Produktionen oft verweigerten oder unbewältigten Bild – Herausforderungen. Von Rhein bis Regenbogen, von Alberichs Verwandlungen bis Fasolts Ermordung ist alles stimmig gebaut und intensiv erlebbar. Hieran hat Christof Cremer mit seiner fantasievollen, nie selbstbezüglichen Ausstattung großen Anteil.
Glücklicherweise herrscht auf der musikalischen Seite ähnliche Qualität. Mit ungeheuer kraftvollem Gesang und Spiel rückt Hoeup Choi Alberich ins absolute Zentrum der Aufführung. Insik Choi setzt ihm als Wotan einen souverän geführten, angenehm geschmeidigen Bariton entgegen, der gleichwohl zu großem Auftrumpfen in der Lage ist. Dino Lüthy geht den Loge wie ein Schauspieler an, stellt die artikulatorische Prägnanz bewusst vor die Gesangslinie und begeistert durch Charme, Timing und Beweglichkeit in jeder Hinsicht. Rheintöchter und Riesen sind stimmig besetzt. Maria Isabella Segarra rückt trotz weniger, aber bildschön geformter Töne die Freia ins Zentrum des Geschehens. Hier trifft sie Judith Thielsen, die sich als Fricka (und Floßhilde) mit entspannter, eleganter und dabei sehr intensiver Rollengestaltung nachdrücklichst für höhere Aufgaben empfiehlt.
18 Musiker bietet das Gürzenich-Orchester auf, eigentlich viel zu wenig für die gewaltige Partitur, aber deutlich mehr, als der Kinderoper normalerweise zur Verfügung stehen. Der Arrangeur Stefan Behrisch hat versucht, mit viel Percussion und fantasievollen Uminstrumentierungen mit diesem Kammerorchester in Originaldimensionen vorzustoßen. Über weite Strecken klappt das hervorragend. Manchmal allerdings vermisst man schon den Streicherteppich, von dem so vieles ausgeht bei Wagner. Dann klingt diese klangliche Verknappung fast wie brave Harmoniemusik. Aber dann nehmen die von Rainer Mühlbach, den man wirklich gerne mal wieder am Pult einer ‚großen‘ Oper hören würde, glänzend disponierten und koordinierten dynamischen Aufschwünge wieder aufs Höchste gefangen, kommen durch Marimba oder Bassklarinette sogar neue eigenständige Farben hinein. Das junge, teilweise sogar sehr junge Publikum jedenfalls sah und hörte die siebzig Minuten gebannt und konzentriert zu. Und das ist natürlich die beste Kritik, die einem derart ambitionierten Vorhaben widerfahren kann.