Übrigens …

Jesus Christ Superstar im Gelsenkirchen, Musiktheater im Revier

Das Wesen hinter der Show

Das ist ein Gewusel im Tempel - es herrscht echte Vorweihnachtshektik. Alle Menschen sind völlig auf sich fixiert, schieben Körbe mit den letzten Einkäufen hin und her. Und dann erscheint Jesus. Er mahnt markig und überdeutlich den wirklichen Sinn dieses Ortes an.

Könnte es einen besseren Zeitpunkt geben als den 23. Dezember für eine Premiere von Jesus Christ Superstar? Intendant Michael Schulz hat allein mit der Wahl dieses Termins ein Ausrufezeichen gesetzt und untermauert mit seiner Inszenierung von Andrew Lloyd Webbers Musical sowohl die Aktualität des Werks als auch die Radikalität der Lebensgeschichte Jesu.

In bezwingenden Bildern stellt Schulz den Konflikt zwischen Judas und Jesus in den Mittelpunkt seiner Interpretation. Wie weit darf eine revolutionäre Bewegung gehen, wie weit muss sie Rücksicht nehmen auf existierende gesellschaftliche Verhältnisse? Genau wird dieses Spannungsverhältnis ausgelotet. Serkan Kaya (Judas) und Henrik Wager (Jesus) danken Schulz diesen Fokus mit einer gesanglich wie darstellerisch sehr ausgereiften Verkörperung ihrer Rollen. Es ist deutlich zu spüren, dass da keine jugendlichen Heißsporne zu erleben sind, sondern Musicalsänger, die ihre Rollen absolut durchdrungen haben - ein zutiefst beeindruckendes Erlebnis.

Und auch sonst gibt es ganz viel Aktuelles zu erleben an diesem Abend. Blitzschnell werden aus Jesu’ Anhängern dessen Gegner: „Kreuziget ihn!“, brüllen sie. Wie oft erleben wir dieses Phänomen auf unseren Straßen beziehungsweise im Netz. Da werden gefeierte Helden in Nullkommanichts zu mit Shitstorms überzogenen Bösewichten. Am Ende resigniert auch Jesus, lässt sich in glitzernde Showklamotten gewanden und wird Teil des kommerziellen Kults um ihn.

Kathrin-Susann Broses Bühne trägt dazu bei, dass Szenenwechsel ganz wunderbar gelingen. Wie oft ist in Musicals ein betriebsames Geschiebe von Elementen zu erleben. Brose hingegen setzt in Gelsenkirchen in erster Linie die Hebebühnentechnik ein, um Szenen abzugrenzen. Das ist wunderbar erfrischend und setzt klare Akzente.

Klar: auch bei einer so erfrischend-lebendigen Deutung gehen manche Effekte auch schon mal daneben: Rüdiger Frank als Herodes schwebt als riesiger Weihnachtsengel vom Schnürboden herab. Dies augenscheinlich nur, um seine Kleinwüchsigkeit zu betonen. Wie viele Jahre steht Frank schon auf der Bühne? Offensichtlich noch nicht lange genug, um auf den „Liliputaner-Effekt“ des vorigen Jahrhunderts verzichten zu können. Das ist billig! Um des Herodes’ beißende Agnostizität zu beglaubigen, reicht Franks wunderbar beißende Reibeisen-Stimme allemal.

Lloyd Webbers Jesus Christ Superstar ist sicher musikalisch das mit Abstand beste Werk seiner langen erfolgreichen Arbeit - eine Partitur, die herrlich rau ist und eingängige Melodien mit komponierten Fragezeichen verbindet. Heribert Feckler und seine Band setzen das präzis um. Überhaupt ist die Soundregie ein kleines Wunder. In Gelsenkirchen strömen die Klänge perfekt von vorn bis hinten durch das Haus. Man fühlt sich mittendrin im Geschehen.

Alexander Eberles Chor ist mit vollem Eifer im Geschehen. Auch die kleineren Rollen sind optimal besetzt. Hervorzuheben ist hier der wunderschöne Bariton Tobias Glagau als Petrus und der tiefschwarze Kaiphas Joachim Gabriel Maaß. Eine kleine Enttäuschung im großartig singenden Ensemble ist Theresa Weber als Maria Magdalena. Ihr „I don’t know how to love him“ wirkt leider nur niedlich.

Was abgehen kann, wenn Musical ernst genommen wird, beweist Michael Schulz an diesem Abend im Musiktheater im Revier. Und Jesus Christ Superstar kann seine Qualitäten sicher nicht nur an Weihnachten entfalten. Das wird mit Sicherheit ein Quotengarant!