Eine Epoche tanzt sich in den Untergang
Von den glorreichen Zeiten als Revuetheater zeugen eigentlich nur noch der ausladende Kronleuchter und der üppige Bühnenvorhang. Wo sich einst die „Upper Class“ der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie amüsierte, liegen jetzt verwundete Kriegsteilnehmer, kämpfen Ärzte und Schwestern um deren Leben.
Mareike Zimmermann verortet Emmerich Kálmáns Operette Die Csárdásfürstin in das Jahr 1917 - kurz nach ihrer Uraufführung. Es herrschte Krieg in Europa, doch auch Soldaten wollen unterhalten werden zur Erhaltung ihrer Kampffähigkeit. „Die Moral der Truppe“ muss gestärkt werden. Und deshalb reist Sylva Varescu, der ehemalige Star des Hauses, mit Klavierbegleiter Feri an – wie einst Marlene Dietrich. Als dann noch Graf Boni, der sich dem Schlachtfeld immer wieder durch Selbstverstümmelung entzieht, dazu stößt, erinnern sich die Drei an goldene Zeiten und an Sylvas Liebesgeschichte mit dem Fürstensohn Edwin.
Kálmáns bitter-süßes „Weißt Du es noch?“ stellt Regisseurin Zimmermann als Motto über ihre Csárdásfürstin und zaubert vergangene Zeiten auf die Bühne. Das gelingt auch, weil Isabel Graf Kostüme entwirft, die blitzschnelle Verwandlungen ermöglichen. So werden aus Krankenschwestern in Nullkommanichts die „Mädis vom Chantant“, aus gestrenger Oberschwester und dem Chefarzt das hochherrschaftliche Fürstenpaar. Episodisch und pointiert wird die das Vorkriegsleben des Amusements herausgearbeitet, Flitter, Glamour und blinkende Operettenuniformen fehlen fast gänzlich. Dennoch gelingt es Zimmermann, sowohl den rasanten Untergang einer Epoche herauszuarbeiten als auch durch konzise Personenführung auch dem Liebesreigen viel Aufmerksamkeit zu widmen. Tomasz Zwozniak trägt mit seiner Choreografie viel dazu bei. Er nimmt die Texte sehr ernst, zaubert ein hinreißendes „Das ist die Liebe, die dumme Liebe“ auf Bühne und sorgt dafür, dass nichts fehlt von all’ den Gefühlsverwirrungen und triebgesteuerten Aktionen der Protagonisten. Komik hat genauso viel Platz in dieser Csárdásfürstin wie die Darstellung der tristen Wirklichkeit
Natürlich ist es „a bisserl“ schade, wenn am Ende das Happy-End fehlt – aber in dieser Inszenierung nur folgerichtig: Die Zeiten für eine sorgenfreie Zukunft sind vorbei. Sylva beendet ihre Tätigkeit für die Verwundeten, denn in jedem von ihnen meint sie, ihren Edwin zu erkennen. Der erscheint ein letztes Mal als Traumbild in Smoking und mit Blumenstrauß. Lang ist’s her. Dreh- und Angelpunkt des Abends ist Erwin Belakowitsch als Graf Boni. Er ist quasi der Moderator, der den stetigen Wechsel zwischen Einst und Jetzt kommentiert und begleitet. Belakowitsch meistert diese Rolle mit großartiger darstellerischer Präsenz und einer ganz wunderbaren Mischung aus Charme und Melancholie.
Inna Batyuks Chor präsentiert sich von seiner besten Seite. Wie aus einem Guss steht er mitten in der Inszenierung. Und es ist ein tolles Bild, wie die Herren Beine schwingend die Revuegirls nachahmen. Das sängerische Ensemble lässt sich nur bedingt anstecken vom durchgearbeiteten Regiekonzept. Christoph Stegemann verbreitet mit wenigen Tönen fürstliche Dignität, Suzanne McLeod als Fürstin und Oberschwester macht das Terzett „Jaj, Máman, Bruderherz, ich kauf mir die Welt“ zum Quartett mit einem Mehr an Weltschmerz.
Gregor Dalal ist Feri – vom Theaterdirektor zum Klavierbegleiter degradiert. Er nimmt’s gelassen mit einem Achselzucken. Eine gute Figur macht Kathrin Filip als Comtesse Stasi. Keck, frech, fast schon emanzipiert nimmt sie das Liebesleben eher von der rationalen Seite. Garrie Davislims Edwin erscheint nur in Rückblenden. So ganz verschmolzen mit dem Genre Operette scheint Davislim noch nicht zu sein. Seinem schönen Tenor gebricht es etwas an Leichtigkeit und Feuer. Die kann sich in den folgenden Vorstellungen aber noch einstellen, wenn er „warm“ geworden ist mit dieser Inszenierung. Warm werden muss auch Henrike Jacob mit der Sylva. Sie kommt noch etwas zurückhaltend daher. Das feurige „Teufelsweib“ mag man ihr noch nicht recht glauben – eher schon die gedankenschwere, melancholische Seite ihrer Rolle.
Das Sinfonieorchester unter Stefan Veselka gießt keinen Zuckerguss über Kálmáns Melodien, gibt ihrem Tempo und Vorwärtsdrang genauso Raum wie einem Schuss Sentimentalität und Melancholie. So gelingt ein Operettenabend, der Freude macht. Die Csárdásfürstin wird von allen Beteiligten ernst genommen, ohne dass Charme und Eleganz verloren gehen.