Vom Tod einer schillernden Herzogin
„Mmm-nnn-uuu-aaaaah“ - das sind unzweideutig zu interpretierende Geräusche, die Margaret Herzogin von Argyll da in ihrem Etablissement von sich gibt. „Ganz bewusst - höchste Lust“, möchte man da etwas umdichten. Nur, dass es hier nicht um einen Liebestod geht sondern um das genaue Gegenteil. Liebestoll ist diese Herzogin. Und ihr mondänes, ausschweifendes Leben sorgte im 20. Jahrhundert in Großbritannien andauernd für tolle Stories nicht nur in der „Yellow Press“. Die Argyll war offenkundig eine seltene Schönheit, besaß einen Riesenhaufen Geld, dafür etwas weniger Verstand. Aber was kümmert das, wenn man sein Hauptaugenmerk darauf richtet, sich lustvoll mit Männern zu beschäftigen. Puder, Parfüm und prächtige Garderobe sind ja ausreichend vorhanden. Und wenn die Hülle fällt, kommt ein rattenscharf rotes Rubber-Outfit zum Vorschein. Dazu noch eine Peitsche - und los geht‘s.
Komponist Thomas Adès (* 1971) und sein Librettist Philip Hensher (* 1965) haben sich von der schillernd-schrillen Herzogin inspirieren lassen, genauer: von den letzten Tagen ihres irdischen Daseins, die alles andere als lustvoll waren. Powder Her Face kam 1995 zur Uraufführung, zwei Jahre nach dem Tod der Hauptfigur dieser Oper. Das gut zweistündige Stück beleuchtet in acht Szenen einige markante Momente im Leben der Margaret von Argyll, die in Schottland geboren, in New York aufgewachsen und dann mit 17 Jahren als „Debütantin des Jahres“ 1930 in die Londoner Society eingeführt worden war. Wir erfahren von dem ewigen Ennui, über das sich die Protagonistin beklagt, dann von den Annehmlichkeiten, wenn man schon zum Frühstück den Champagner-Korken knallen lassen kann, natürlich von dem umfassenden Hotelservice, dessen ausführendes Organ, der Kellner, nicht nur Sandwiches und Getränke herbeiträgt sondern auch („Bring mir Wein. Und Fleisch. Alles was Du hast!“) seinen eigenen Körper. Das ist dann in der Oper just jener Zeitpunkt, an dem die Oralsex-Praktik der Herzogin zur vermutlich ersten „Blowjob“-Arie in der Musikgeschichte führt. Aber keine Sorge: Regisseur Christian Poewe inszeniert das absolut jugendfrei. Außer einem straffen nackten Kellner-Po ist nichts zu sehen, man macht sich nur so halt seine Gedanken.
Für die britische Gesellschaft war die Argyll ein Skandal, als Polaroid-Fotos auftauchten. Die zeigten Margaret „in action“, was zu einem Scheidungsprozess führte. Dies die sechste Szene mit einem sich arrogant gebärdenden Richter und dessen vernichtenden Sätzen wie „Sie ist eine skrupellose Frau mit der Moral eines Bettpfostens. Ihre sexuellen Praktiken sind nördlich von Marrakesch selten anzutreffen...“ - Über 80 Lover soll Margaret gehabt haben. Wobei alle genau wussten, dass der sie anklagende Gatte selbst auch größtes Interesse daran zeigte, fremd zu gehen. Christian Poewe schafft es, das Verlogene dieser Situation unterschwellig erfahrbar zu machen. Vor allem schafft er es, Szenen eines Lebens zu präsentieren, dass von irgend einem Punkt an unweigerlich in den totalen psychischen und physischen Absturz führt. „Sic transit gloria mundi“. Wobei „mundi“ durch „mulieris“ zu ersetzen wäre. Aber für Margaret geht tatsächlich eine ganze Welt zugrunde, spätestens als der Hotelmanager sie aufgrund lange unbezahlter Rechnungen vor die Tür setzt.
Poewes Inszenierung geht, so der Eindruck nach der gefeierten Premiere, eher liebevoll mit der Hauptfigur um, führt sie nicht vor, klagt sie in seiner Darstellung auch nicht an. Das macht das Personal auf der Bühne: der Elektriker, das Zimmermädchen, die den äußeren Rahmen der Oper bilden und deren Eröffnungs- und Schlussbild prägen.
Thomas Adès‘ Musik kommt mit 15 Instrumentalisten aus. Die allerdings bieten einen ganzen Kosmos unterschiedlich gefärbter Klänge, erinnern mitunter an die extreme Chromatik eines Gustav Mahler, an minimalistische Spielfigure à la Strawinsky, an Tango, Swing und sogar Musical-Sound - und hier und da auch an Richard Strauss. Manche Gesangspassage, die Thomas Adès beispielsweise dem Zimmermädchen abverlangt, kann es locker mit der Zerbinetta-Arie aufnehmen. Jeanne Seguin hat dafür reichlich Quecksilber in ihrem beweglichen und präzis geführten Sopran - eine Stimme, die mit Sicherheit ihren Weg machen wird! Ihr Arbeitskollege im Hotel Michael Zehe lässt seinen tiefensatten Bass strömen, wird von Adès aber auch oft genug ins ausdrucksstarke Falsett hinaufgeschickt. Beides ist für ihn kein Problem. Als Richter hat er einen langen Monolog zu bewältigen, auch der gelingt ihm prächtig. Höchst erfreulich auch Daniel Arnaldos im Blaumann, der als Elektriker durchs Hotel flitzt, später dann für eben jene vergnüglichen Events der Herzogin zur Verfügung steht: ein klarer, intonationssicherer Tenor, der auch darstellerisch einiges zu bieten hat. Aber dies gilt eigentlich für alle vier Solisten, nicht zuletzt für Eva Bernard. Ihr Spiel, ihr Gesang vermitteln Authentizität, sie hat ihre Rolle ganz verinnerlicht, was vor allem gegen Ende sehr berührt: Da erreicht sie nur mühsam und über den Fußboden robbend jene zentral angeordnete runde Spielfläche, die in besseren Zeiten einmal ihre Bühne, ihr „Präsentierteller“ gewesen war. Eva Bernard legt Melancholie und Zerbrochenheit in ihre Stimme und erzielt dadurch ein Maximum an Glaubwürdigkeit.
Hoch konzentriert agieren die Mitglieder des Symphonischen Orchesters des Landestheaters. Lutz Rademacher lässt die komplexe Partitur sehr lebendig werden, changiert gekonnt durch die vielfältig angelegten Stile - und signalisiert nicht zuletzt in den Zwischenspielen, mit denen Thomas Adès die Opernszenen voneinander abgegrenzt, dass hier avancierte Musik fürs Musiktheater geschrieben wurde!