Nicht leicht zugänglich, aber mächtig nachwirkend
Von dem Dortmunder Nabucco wären ohne weiteres Parallelen zu dem einen Tag später in Bonn herausgekommenen Echnaton (Akhnaten) zu ziehen: Herrscher-Utopien, welche an der Realität scheitern. Doch eine vergleichende Schilderung würde ausufern. Beschränkung also auf die Philip-Glass-Oper, für Bonn ein Kraftakt, aber auch ein künstlerischer Höhenflug sondergleichen, einigen geistig offenbar verwirrten Buhrufern zum Trotz.
Echnaton bildet den Abschluss einer Trilogie, welche mit Einstein on the beach und Satyagraha eingeleitet wurde. Alle drei Werke waren komplett offenbar nur in Stuttgart zu sehen, wobei es sich allerdings nur bei Echnaton um eine Uraufführungs-Produktion (1984) handelte. Lange hat Philip Glass nach einem passenden Finale für seine „Porträt“-Opern gesucht. Ein Besuch beim Dirigenten Dennis Russel Davies gab 1979 einen neuen Anstoß. Ausschlaggebend aber war letztlich die Lektüre von „Ödipus und Akhnaten“ von Immanuel Velikovsky, wo Leben und Psyche der beiden Figuren miteinander verzahnt werden.
Fakten zum Leben des altägyptischen Königs bzw. Pharaos Echnaton sind nur spärlich überliefert. Eine Statue von ihm wirkt auf den heutigen Betrachter stilisierend fremdartig; schnelle psychologische Deutung verbietet sich also. Dass der Sohn von Amenophosis III, der sich zunächst wie sein Vater nannte (mit der Zählung IV), als Echnaton in die Geschichte einging, ist freilich unstreitig. Er verwarf den vorherrschenden Glauben an die Vielgötterei, setzte auf einen einzigen Weltenherrscher, nämlich Aton, dargestellt als Sonnenscheibe. Echnaton entfernte sich mit seiner „nach innen“ gerichteten Politik von seinem Volk schon bald nach Regierungsantritt, welches schließlich gegen ihn meuterte und seinen Sturz herbei führte. Ob ein heilig entflammter König beseitigt wurde oder nur ein unfähiger Politiker, ist schwer entscheidbar. So oder so: Echnaton passte mit seiner individuellen Haltung nicht zum damaligen Weltverständnis.
Wie kann eine Person bei so wenig Hintergrundinformation zur Mittelpunktfigur einer zweieinhalbstündigen Oper avancieren? Philip Glas: „Für mich wurde das Mysterium, manches nicht zu wissen, zu einer eigenen Anziehungskraft.“ In Zusammenarbeit mit Shalom Goldman, Robert Israel und Richarde Riddell schuf Glass ein Libretto, welches keine zusammenhängende Geschichte erzählt, sondern ein nur fragmentarisch bekanntes Leben in einigen wenigen Stationen aufblättert. Die von Echnaton gepflegte intime Häuslichkeit erfährt beispielsweise eine ausgedehnte Szene, ebenso die „Hymne an Aton“, welche die monotheistische Gottvorstellung Echnatons lyrisch schwelgerisch auf den Punkt bringt.
Glass arbeitet szenisch wie musikalisch mit breitem Pinsel. Bei aller Eindrücklichkeit dieses Verfahrens stellt sich doch ein leichter Eindruck von Länge ein. Das hat natürlich wesentlich mit der Musik zu tun. Kompositorisches Prinzip für Glass ist weiterhin die „minimal music“ mit ihren mehr oder weniger süffigen Ton- und Akkordrepetitionen. Diese werden in Echnaton allerdings, oft auf nur kleinem Raum, modifiziert. Harmonisches Changieren und wechselnde Instrumentalfarben („dunkles“ Orchester ohne Violinen) lassen das Ohr des Zuschauers hellhörig werden, gebührende Aufmerksamkeit freilich vorausgesetzt. Das Beethoven Orchester Bonn ist für sein konzentriertes Spiel fast noch mehr zu bewundern als der Dirigent Stephan Zilias, welchem eigentlich nur der strikte Klangzusammenhalt obliegt. Interpretatorische Freiheiten oder gar Improvisatorisches sieht die Partitur nicht vor.
Eine fast schon hybrid zu nennende Aufgabe hat der (verstärkte) Chor der Bonner Oper zu leisten, vor allem, was den Text betrifft. Außer der deutschen und englischen wird auch die ägyptische, akkardische und aramäische Sprache verlangt. Das erfordert zwangsläufig ein phonetisches Einbläuen. Für diesen Kraftakt benötigten die Sänger (wie auch die Solisten) eine Vorbereitungszeit von fast einem halben Jahr, wie erfragt wurde. Dreifaches Bravo also, auch dem Chorleiter Marco Medved.
Ein solches ist auch der Inszenierung zu spenden. Für die Stuttgarter Uraufführung war der bis heute bildgewaltig arbeitende Achim Freyer zuständig. In Bonn ist es Laura Scozzi, die sich 2015/16 vor Ort mit Benvenuto Cellini von Berlioz vorgestellt hatte. Durch ihre frühe und intensive Beziehung zum Ballett kam ihr die Idee, Tänzer in das Echnaton-Geschehen zu integrieren. Mehr noch: Katharina Platz als Marie wird zu einer zentralen Akteurin.
Die Inszenierung hebt mit einer Szene des Schulunterrichts an, wobei der Lehrer (Thomas Dehler) mühsam versucht, seine übermütigen Rangen für das hehre Altertum zu interessieren. Der Übermut der Schüler droht immer wieder zu eskalieren (was für einige erfrischend komische Momente sorgt). Aber dann hat Marie so etwas wie eine Erleuchtung (im Wortsinn: ein Scheinwerfer hebt sie plötzlich aus dem Raumdunkel hervor). Sie begegnet Figuren wechselnden Alters mit altägyptischen Kopfbedeckungen, derer sie nicht habhaft zu werden vermag. Gegenwart und Historie vermischen sich in der Folge noch mehr. Ein Echnaton-Double erscheint, nimmt Marie bei der Hand und führt sie (die Hubbühne macht es möglich) in seine unterirdische Welt. Auch später teilt sich die Szene immer wieder vertikal.
Es ist schier unglaublich, mit welcher Bildfantasie es der Regisseurin gelingt, die Jahrtausende auseinander liegenden Zeiten zu verschmelzen und dem weitgehend statischen Geschehen mit choreografischer Eleganz Leben einzuhauchen. Brutales bleibt nicht ausgespart, etwa wenn Echnaton von dem unzufrieden gewordenen Volk niedergeknüppelt und mit Fußtritten traktiert wird. Was der Countertenor Benno Schachtner an körperwilden Schmerzreaktionen zeigt, ist schauspielerisch fulminant. Höhepunkt dieser Orgiastik ist eine Bücherverbrennung. Die Gedanken des Zuschauers dürfen schweifen …
Weitere Einfälle der Inszenierung zu referieren, würde zu weit führen. Doch von den Finalszenen muss unbedingt noch die Rede sein. Marie, die sich Echnaton auch erotisch angenähert hat, bekommt ein Kind von ihm (diese Deutung ist hoffentlich nicht falsch). Bei der Geburt stirbt sie. Große Trauerfeier mit Blumen. Und der Lehrer beginnt erneut mit seinem Unterricht. Die einstigen Rabauken sind jetzt ganz still; ihnen ist inzwischen offenbar etwas von der Macht des Mythos, der Größe und Bedeutung historischer Vorgänge bewusst geworden. Unter Umarmungen verlassen sie das Klassenzimmer. Da kämpft man als Zuschauer schon etwas mit den Tränen.
Die Ausstatter leisten Außerordentliches; Details würden zu weit führen. Stéphane Broes Videos finden bei der Aton-Hymne ihren Höhepunkt: eine hohe Steinwand stürzt zusammen, die Steine bauen sich dann zu immer neuen Gebäuden auf.
Von den Sängern wurde Benno Schachtner als eminenter Bühnenakteur bereits erwähnt. Auch wenn ein leichter Vibratozuwachs denkbar wäre: sein sublimes Timbre leuchtet auf betörende Weise, wie man auch auf seiner CD „Clear or cloudy“ (Lieder von Purcell, Dowland u.a.) hören kann. Glass hat das androgyne Counter-Organ für die Partie des Echnaton ganz bewusst gewählt. 1984 in Stuttgart verkörperte übrigens Paul Esswood die Rolle. Vokales Labsal kommt in Bonn weiterhin von Susanne Blattert (Nofretete, Echnatons Gemahlin), Marie Heeschen (Teje, Echnatons Mutter) und Echnatons Töchtern Sheva Tehoval und Rose Weissgerber. Bei den Herren setzen Martin Tzonev, Giorgios Kanaris und Johannes Mertes markante Akzente.
In summa: kein leichter Abend, doch einer von eminenter Faszination, letztlich uneingeschränkt bejubelt. Die Oper Bonn darf stolz sein. Die nächste Produktion wird Echnaton übrigens 2019 an der New Yorker Met erfahren.