Übrigens …

Der Kaiser von Atlantis im Köln, Oper

Der Tod verweigert sich

Die sogenannte „Außenspielstätte am Offenbach-Platz“, wo die durchaus schon proper aussehenden Häuser von Oper und Schauspiel weiter dem Ende ihrer Generalsanierung (vermutlich 2022) entgegen träumen, war eine offensive Idee des Schauspielintendanten Stefan Bachmann. Der studioartige Raum lässt selbstverständlich nur klein dimensionierte Inszenierungen zu, was aber auch als Herausforderung für den Spielplan wie für die Regie begriffen werden kann. Der „Saal 3“ im Haupt-Provisorium der Oper („Staatenhaus“) ist hingegen ein weitläufiges Areal, welches durch das Bühnenbild künstlich verkleinert werden muss, sofern es nicht konzeptionell genutzt wird wie bei der grandiosen Produktion von Brittens Rape of Lucrecia, welche ihrer baldigen Wiederaufnahme entgegen sieht.

Viktor Ullmanns Der Kaiser von Atlantis ist die zweite Initiative der Kölner Oper in der Außenspielstätte nach Georg Kreislers Adam Schaf hat Angst (Juli 2017). Das Schicksal des tschechischen Komponisten dürfte bekannt sein. Er wurde als Jude 1942 nach Theresienstadt deportiert, dessen Zustände die Nazis in der Öffentlichkeit schönredeten. Die Abteilung „Freizeitgestaltung“ war ein potemkinsches Dorf besonderer Art, aber tatsächlich funktionierte eine lagerinterne Kulturarbeit. In Theresienstadt durfte Ullmann seine Oper komponieren (das Libretto schrieb Schicksalsgefährte und Leidensgenosse Peter Kein); die Orchesterbesetzung musste sich nach den zur Verfügung stehenden Instrumenten richten. Zur Premiere kam es aber nicht, wobei die Meinungen über die Gründe divergieren. Von Papiermangel für die Noten ist die Rede, bzw. von Schwierigkeiten für das Ausstattungsmaterial. Aber vielleicht wurden in der symbolhaften Handlung zuletzt politische Anspielungen aufgespürt. Kurz bevor Viktor Ullman nach Auschwitz abtransportiert und dort ermordet wurde, übergab er die Unterlagen seiner Oper einem Mithäftling, der sie über das Kriegsende hinweg zu retten vermochte. Erste Aufführungen vom Kaiser von Atlantis (posthume Premiere 1975 in Amsterdam) waren Annäherungen an die noch nicht rekonstruierte Originalgestalt. Eine Edition des Schott-Verlages 1993 darf mittlerweile als authentische Fassung angesehen werden.

Der Tod: ein Urthema der Menschheit, mal als schmerzhaft, mal als erlösend empfunden. Aber er gehört unausweichlich und notwendigerweise zum Dasein. Was, wenn diese Konstellation einmal außer Kraft gesetzt würde? Ullmanns Oper durchdenkt das kritisch. Der Kaiser Overall, ein Kriegsherr, wie er im Buche steht, propagiert den Kampf aller gegen alle. Der Tod fühlt sich durch diese Maßnahme verhöhnt und verweigert seinen Dienst. Kein Mensch stirbt mehr, auch nicht bei heftigsten Auseinandersetzungen auf dem Schlachtfeld. In dieser Situation finden die Menschen aber wieder neu zu sich, was Eike Ecker in ihrer Inszenierung dadurch visualisiert, dass die Bühnendarsteller die Köpfe von ihrer Stoffummantelung befreien und wieder freie Sicht gewinnen. Ein Soldat und sein weibliches Pendant Bubikopf finden sogar in Liebe zueinander.

Der Kaiser ist von seiner Schuld aber nur schwer zu überzeugen. Doch dann willfährt er doch der Forderung des Todes, selber aus dem Leben zu scheiden und damit dem Erdenleben wieder zu seiner normalen Gangart zu verhelfen. Hier nun freilich stößt die Inszenierung an leichte Grenzen. Das hat wesentlich mit dem so ungemein sympathisch wirkenden Bariton Nikolay Borchev zu tun, welcher den Kaiser 2013 bereits konzertant am Theater an der Wien sang. Borchev wirkt in keinem Moment als grimmer Despot, eine Fallhöhe zu seiner Unterwerfung findet somit nicht statt. Grundsätzlich ist die sängerdarstellerische Leistung des jungen Russen allerdings superb. Aber der clowneske Harlekin von Martin Koch und der sinistre Tod von Lucas Singer besitzen letztlich markantere Rollenumrisse, auch Judith Thielsen als Trommler. Das „Liebespaar“ Claudia Rohrbach und Dino Lüthy (einstweilen noch im Opernstudio) verströmen belkanteskes Melos.

Das taucht in Ullmanns Partitur auch sonst häufig auf. Mit der Musikästhetik seines Lehrers Arnold Schönberg scheint er also nicht auf voller Wellenlänge zu liegen, eher steht Sympathie für Alexander Zemlinsky zu vermuten, dem er in Prag als Kapellmeister zur Seite stand. Und der verweigerte sich einem grundsätzlichen Verlassen der Tonalität. Ullmann lässt auch Sympathien für Kurt Weill spüren, was von den Musikern des Gürzenichorchesters unter Rainer Mühlbach mal hart und kantig, mal aber auch eminent süffig zum Klingen gebracht wird.

Das Bühnenbild von Darko Petrovic bietet nicht viel außer einer das mittig platzierte Orchester umlaufenden Spielfläche. Blickfang ist eine schwarze Stoffglocke, welche den Lautsprecher symbolisiert, im Prolog akustisch dominant. Markante Akzente setzen weiterhin die Kostüme. Eike Eckers Inszenierung verzichtet auf zeithistorische Anspielungen, führt vielmehr auf fast schon asketische Weise einen mittelalterlichen Totentanz vor, einen dunklen Danse macabre. Mit seinen visuellen Andeutungen erreicht er mehr als vorstellbare politische Querverweise.

Eine knappe Stunde höchst beeindruckendes Welttheater. Vom Publikum nachdrücklich akklamiert.