Übrigens …

Siegfried im Duesseldorf Oper

Siegfried auf der Suche nach seinen Wurzeln

„Ich lieg‘ und besitz‘, lasst mich schlafen“ stöhnt Fafner im zweiten Aufzug von Wagners Siegfried. Das ist vielleicht nicht ganz die treffende Charakterisierung für einen lupenreinen Kapitalisten im 19. Jahrhundert. Der lag, besaß - und investierte, um seinen Profit zu steigern, statt zu schlafen. Natürlich ohne die Drecksarbeit zu machen, die Dietrich Hilsdorf im Rheingold, dem Vorabend zum Ring, von Malochern hat erledigen lassen. Da rollten die Kohle-Loren mit schwarzem Gold beladen über die Bühne resp. durch die Essener Krupp-Villa. Jetzt im Siegfried rollt eine gigantische Lokomotive, mit mannshohen Rädern, mit mannshohem Schlot: der eiserne Fafner. Aber auch nicht sicher vor Siegfrieds Schwert. Der Gigant wird erledigt, Siegfried nippt von seinem Blute und versteht auf einmal die Sprache des Waldvogels. Der Rest ist bekannt: Mime wird erschlagen, Siegfried begibt sich auf die Suche nach der im Feuerkreis schlummernden Brünnhilde.

Dietrich Hilsdorf findet schwer beeindruckende Bilder für seinen Siegfried. Zu Anfang fällt der Blick auf Mimes Schmiede, die optisch genau in die Zeit verortet wird, in der schon das Rheingold angesiedelt war: in das letzte Viertel des 19. Jahrhunderts. Aktuelle Zutat ist die riesige Bildfläche, auf der sich Mime Szenen aus seiner Rheingold-Vergangenheit von einem ausgedienten Friseurstuhl aus ansieht und irgend etwas aus einer Blechkonserve verspeist. Da ist Wotan, der jetzt der „Wanderer“ ist, schon stilvoller. Am Lenker seines Fahrrades, das ihn durch die Szenen transportiert, hängt eine Baumwolltasche (mit aufgedrucktem „W“!), aus der er gern mal Baguette und Rotwein als Wegzehrung entnimmt - dies eines von vielen Details in Hilsdorfs Inszenierung, die immer mal wieder schmunzeln lassen. So wie der (t‘schuldigung!) tote Mime, der wie eine in den Himmel auffahrende Seele in den Schnürboden hochgezogen wird. Oder die Videoprojektion eines munter hüpfenden gefiederten Freundes, die zum Gesang des Waldvogels auf der Bühnenrückwand hin und her wippt. Täppisch, wie Siegfried den Versuch unternimmt, dessen Gezwitscher (erfolglos) zu imitieren.

Natürlich wird die Walküre zitiert, natürlich mit dem abgestürzten Helikopter, in den Wotan seine ungehorsam gewordene Brünnhilde verbannt hat. Nicht ganz glücklich von der Regie gelöst ist Siegfrieds Weg in und durch das Wrack, die erlösende Tat auszuführen. Umständlich macht er sich von hinten an die Schlafende heran - statt das bequeme und nach vorn zeigende Loch zu nehmen, das die abgerissene Tür des Fluggerätes hinterlassen hat.

Wie gesagt: es sind die immer wieder mal beeindruckenden Bilder, von denen Hilsdorfs Inszenierung profitiert. Was als Idee hinter diesem Zweiten Tag der Tetralogie und hinter dem kompletten Ring womöglich steht, das erschließt sich diesmal nicht. Vielleicht noch nicht.

Musikalisch ist der Abend eine Wucht. Axel Kober findet zusammen mit den Düsseldorfer Symphonikern einen knackigen Wagner-Klang, schraubt mitunter gehörig die Dynamik-Spirale in die Höhe, kann aber auch sanft und sensibel. Insgesamt macht Siegfried in diesem Ring den bislang besten Eindruck vom Orchester. Auch das singende Personal auf der Bühne zeigt sich seinen immensen Aufgaben durch und durch mehr als gewachsen. Da wäre zu allererst Michael Weinius zu nennen: der Schwede debütiert als Siegfried in Düsseldorf. Und wie! Kondition hat er bis zum anstrengenden finalen dritten Aufzug. Und Strahlkraft. Aber auch viele, viele Zwischentöne. Nachvollziehbar wird seine Entwicklung vom brutalen „Haudrauf“ zum Brünnhilde-Erwecker, der Gefühle der Liebe zulässt. Weinius‘ Tenor-Kollege Cornel Frey ist die Idealbesetzung für den Mime: er spielt ihn nicht - er ist Mime mit Haut und Haar! Mit metallischem und höhensicherem Tenor, wie er passender nicht hätte ausfallen können. Simon Neal läuft zu Hochform auf, lässt seinen raumgreifenden Bariton als den Wanderer verströmen, dem man sein Wissen darum abnimmt, dass sein Ende langsam aber sicher gekommen ist. Linda Watson hat das stimmliche Format für ihre Brünnhilde, auch wenn nicht jeder Spitzenton intonationsmäßig perfekt sitzt. Den Alberich verkörpert Jürgen Linn grundsolide, Elena Sancho Pereg trällert balsamisch den Waldvogel, gebieterisch dagegen gibt sich Okka von der Damerau als Erda. Last but not least: Thorsten Grümbel ist ein profunder Lokomotivführer namens Fafner.

Buhs und Bravi gab‘s nach dem Schlussakkord für das Regieteam - beides war übertrieben. Mal sehen, wie es weitergeht...