Tosca im Detmold, Landestheater

Sex and Crime

Aus Programmheften abschreiben ist nicht die feine Art. Aber das Zitat des Musikkritikers Julius Korngold (1860 bis 1945) charakterisiert verblüffend einfach Giacomo Puccinis Tosca: „In dieser Oper wird zu folgenden Ereignissen Musik gemacht: Zu einer Folterung, zu einem Morde, zur Aufbahrung des Ermordeten durch die Täterin, zu einer Hinrichtung mittels Erschießen, schließlich zum Todessprung der Heldin in Tiefe“. Knapper, besser kann man’s nicht sagen, impliziert dieser Satz doch auch die dramatische Dichte der Tosca. Die hat Puccini musikalisch in eine zum höchsten Maße aufgepeitschte Emotionalität umgewandelt - eine Steilvorlage für jeden Regisseur, die Ernö Weil am Landestheater Detmold nicht in vollem Maße nutzt.

Weil verlegt die Handlung in die 1930er Jahre. Das dokumentieren die elegant-geschmackvollen Kostüme von Karin Fritz. Das ist ein sehr interessanter Ansatz, stellt er doch Bezüge her zwischen Scarpias Gewaltherrschaft und der Mussolini-Diktatur. Leider bleibt dieser Gedanke auf der Strecke und wird nicht weiter verfolgt. Ernö Weil konzentriert sich auf eine stringente Erzählung der Handlung und darauf, die Gefühlswelt der in unseliger ménage à trois-Verstrickten zu beleuchten. Das gelingt im Großen und Ganzen, wenn auch im Verlauf des Abends abgedroschene Operngesten wie etwa häufiges Händeringen leider weitgehend die Szene bestimmen.

Das ist schade, aber das Detmolder Opernensemble schafft es dennoch, das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Mit großer Expressivität wird das wie ein Gewitter mit Sturm über die Bühne brausende Gefühlschaos Puccinis entfaltet und musikalisch ein tolles Gesamtbild entworfen.

Das beginnt mit Francesco Damianis Chor, der stimmgewaltig im Finale des ersten Akts den Auftakt der Tragödie manifestiert. Auch die kleinen Rollen sind perfekt besetzt. Hier agiert herausragend Michael Zehe als Mesner. Darstellerisch überzeugt er in seiner Rolle als autoritätshöriger „kleiner Mann“ und hat mit seinem raumgreifenden, ausgeglichenen Bass ein Instrument, um sich Gehör zu verschaffen. Zehe gestaltet seinen Mesner optimal.

Sandor Balla ist der einzige Gast in Detmold. Sein agiler und beweglicher Bariton bietet alle Möglichkeiten, Scarpias Charakter umfänglich auszuloten. Balla entscheidet sich dafür, ihn als eiskalten Machtmenschen zu portraitieren und das gefährliche Feuer seiner Leidenschaften nur ab und an hervorlugen zu lassen. Diesem Scarpia möchte man nicht wirklich gegenüber stehen. Ewandro Stenzowskis Cavaradossi läuft zu Höchstform auf in „seiner“ großen Szene. „E lucevan le stelle“. Es beglaubigt das Gefühlsleben eines Mannes, der angesichts des Todes alle Hoffnung und Träume begraben muss. Stenzowski - und das beeindruckt schwer - gelingt das ohne eingebaute Schluchzer á la Pavarotti. Auch Megan Marie Hart in der Titelrolle legt alle Konzentration in die Gestaltung von „Vissi d’arte“. Sie weiß, dass es hier darauf ankommt, die verzweifelte Seele der Tosca offen zu legen - zerrissen zwischen bedingungsloser Liebe, tiefem Glauben, der Hingabe an die Kunst und Scarpias „unmoralischem Angebot“. All diese Nuancen menschlichen Empfindens vermag Harts Sopran zu vermitteln.

Klar gilt auch für das „Trio infernale“: Alles kann immer noch besser werden und kleine Unsicherheiten gilt es zu verbessern. Aber insgesamt wehte ein zutiefst durchdrungener Puccini durchs kleine Detmolder Theater. Den verströmen auch Lutz Rademacher und die Detmolder Symphoniker. Schäumend und aufbrausend und auch wunderbar zart kommt diese Tosca daher. Und ein Quäntchen Kitsch ist auch dabei. So soll Puccini sein!